Wie die Libelle in der Wasserwaage
herauf, wie eisige Finger, die aus einem Grab aufsteigen. Und es begann zu regnen. Regen, Regen, Regen, den lieben langen Tag. Während in Deutschland der Sommer den Großteil des Regens bringt, so ist es im mediterranen Klima der Winter. Und das ist nicht schön. Denn das Heizen ist genauso wenig die Stärke des Italieners wie es das Bauen von gut isolierten Häusern ist. Von allen Seiten griff die Kälte unter den Ritzen hindurch in das Gemäuer unseres neuen Heims. Vor den einfach verglasten Fenstern des Restaurants verschwand die Traumaussicht hinter grauen Regenvorhängen. Alles Liebliche war mit einem Schlag vergangen. Ich saß in einer Isolationszelle der Trostlosigkeit.
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Meine werdende Schwiegermutter und Schwägerin verdonnerten mich dazu, ein pompöses, über und über mit Rüschen dekoriertes Hochzeitskleid, zu dem ein gewaltiger Tüllschleier gehörte, anzuziehen. Dieses herrliche Stück sei nämlich ein Familienerbe, sie hätten es auch getragen, welche Ehre für mich! Noch passte es leidlich, denn die Schwangerschaft hatte bei der Umformung meines Leibes in ein fassförmiges Monstrum noch nicht mit aller Wucht zugeschlagen. Allerdings war es ein wenig zu kurz, doch eine beflissene Nachbarin sorgte hier für schnelle Abhilfe. Ich sah grässlich darin aus, wie ein Honigkuchenpferd.
Meine Hoffnung, dank der kurzfristigen Anberaumung des Hochzeitstermins werde sich die Zahl der Gäste auf wenige Familienmitglieder beschränken, erstarb noch im Keime. Summa summarum wurde mit zweihundert Teilnehmern gerechnet. Und natürlich müsse ich auch meine lieben Eltern einladen, säuselte meine werdende Schwiegermama. Grundgütiger!
Ich war gezwungen, in Windeseile eine Notlösung aus der Tasche zu ziehen. Mir fiel ad hoc nichts Besseres ein, als die rührselige Lügengeschichte, meine Eltern seien leider bei einem Autounfall gestorben, und zwar schon vor acht Jahren. Meine Schwiegermutter überschlug sich vor Mitleid und steckte damit die gesamte Familie an. Ich armes Hascherl! Und als ich so darüber nachdachte, registrierte ich, dass meine Eltern im Grunde ja wirklich irgendwie für mich gestorben waren. Also war es streng genommen nicht einmal eine richtige Lüge. Da war es doch ganz okay, dass ich mich in den Mitleidsergüssen suhlte.
Andere Familienmitglieder brachte ich auch nicht mit in die Ehe, keine Geschwister, keine Onkel, Tanten, Nichten oder Neffen, und auch meine Großeltern hatten schon vor langem das Zeitliche gesegnet. Die Italiener waren sprachlos vor Entsetzen. Keine Familie, gar niemand? So etwas sei in Italien völlig undenkbar, das könne nur oben im kalten Germanien passieren, kalt in jeder Hinsicht. Kaltes Wetter macht kalte Gemüter. Das wäre eigentlich eine schöne Weisheit für meine Großmutter gewesen.
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Die Feier würde natürlich in Salvatores Restaurant stattfinden, das drängte sich ja geradezu auf. Die Familie, Freunde und Nachbarn würden alle etwas zum Hochzeitsessen beitragen, somit war die Planung des Essens kein großes Problem. Meine patente angehende Schwägerin erstellte eine Liste und gab jedem einen Auftrag, was er vorzubereiten habe. Auberginenröllchen, gebackene Artischocken, Saltimbocca, Zucchinibratlinge, Gnocchi, Polenta, Tortellini, Schweinebraten, Wachteln, Tiramisu, Torte, was auch immer. Von den jüngeren Leuten wurden einige abbestellt, die Gäste zu bedienen, zwischendurch abzuräumen, immer wieder Geschirr und Gläser zu spülen und Ordnung zu halten. Die Organisation lief wie am Schnürchen.
Eine Floristin aus Positano wurde damit beauftragt, für Blumenschmuck und Brautstrauß zu sorgen, eine Band aus Salerno für die musikalische Untermalung engagiert, aus Amalfi kam ein Fotograf, der für den ganzen Tag gebucht wurde. Er würde für sein stolzes Honorar von zweitausendfünfhundert Euro nicht nur schicke Alben erstellen, sondern vor allen Dingen auch mich vom Morgen des Hochzeitstages an mit der Videokamera begleiten, denn in Italien ist es üblich, die Entstehung der Braut filmisch zu dokumentieren. Was für eine kranke Idee! In den intimsten Momenten, beim Schminken, beim Frisieren, beim Anziehen des Hochzeitsgewandes immer ein Kameramann dabei? Mir wurde schlecht.
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Die kleine Kirche quoll über vor Menschen in Festtagskleidung, als ich ankam. Mein Schwiegervater in spe führte mich armes Waisenkind zum Altar, ich ging gefühlt ein paar Schritte neben mir, es lief in meinem Kopf wie ein Film ab, als ich mich selbst beobachtete, wie ich in
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