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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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voraus. Ich brauchte diverse Papiere aus Deutschland, zum Beispiel eine internationale Geburtsurkunde und ein Ehefähigkeitszeugnis. Ehefähigkeitszeugnis , das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Als wenn irgendein Amtsschimmel dazu imstande wäre, zu beurteilen, ob ich ehefähig sei oder nicht! Ich wusste das schließlich selbst am allerbesten. Die Antwort lautete eindeutig, nein.
    Dank des Internet, das sich selbst bis in diese verwunschene Gegend vorgearbeitet hatte, ließen sich die erforderlichen Unterlagen recht reibungslos aus Deutschland beschaffen. Ich bestellte alle Dokumente und überwies die Gebühren von meinem deutschen Konto.
    Es gab nur noch ein Problem, selbstverständlich musste kirchlich geheiratet werden, und dazu war der Nachweis der Teilnahme an einem Ehevorbereitungskurs meiner Heimatgemeinde erforderlich. Das war nun schon geradezu lächerlich. Was sollte man denn da noch vorbeireiten? Das Nest war gebaut, der Braten in der Röhre, jetzt half doch ohnehin nichts mehr. Selbst beten nicht.
    Und Heimatgemeinde? Bitte? Meine Eltern hatten mich getauft, weil es üblich war. Das war der einzige Grund, über religiöse Inhalte dachten sie niemals nach. Wozu auch, alle andern machten es ja genauso. Logisch, ich ging zur Firmung und zur Kommunion. Das gehörte einfach dazu. Nie wurde der Sinn des Ganzen in Frage gestellt, genauso wenig, ob es angesichts der modernen Wissenschaft noch vertretbar ist, an Gott zu glauben und falls ja, ob dieser dann ausgerechnet durch die katholische Kirche mit ihrem Hang zur Bigotterie vertreten werden müsse. Das war letzten Endes ein Segen. Denn ich war katholisch! Nicht auszudenken, wie der italienische Pfarrer reagiert hätte, wenn ich Protestantin oder gar konfessionslos gewesen wäre!
    Der örtliche Pfarrer, mit meiner zukünftigen Familie Zeit seines Lebens aufs Engste verbandelt, sah daher nur in der fehlenden Teilnahme am Ehevorbereitungskurs in meiner Heimatgemeinde ein Problem, allerdings scheinbar eines von gewaltigem Ausmaß. Ein großes allgemeines Lamento setzte ein. Aber es liegt nun einmal in der Natur der Italiener, Probleme künstlich aufzubauschen, wo sie eigentlich gar nicht vorhanden sind, um sich hinterher mit einer in plötzlicher Eingebung gefundenen Lösung als großer Meister der Situation zu profilieren. Und dieses Ritual beherrschte natürlich auch unser Pfarrer.
    Als die Not aufs höchste stieg, lenkte er ein und meinte, er könne da bestimmt etwas drehen, eine Ausnahme, der Herr Jesus würde das gewiss verzeihen, er würde einfach selber mit mir und Salvatore entsprechende vorbereitende Gespräche führen, wir sollten uns doch alle keine Sorgen machen. Salvatores Mutter küsste ihm fast die Füße. Was für eine entwürdigende Inszenierung!
    Am gleichen Tag wurde Barak Obama zum ersten dunkelhäutigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Die Familie feierte so ausgelassen, als sei nicht er, sondern Salvatore der eigentliche Star des Tages.
    *
    Deutsche Ämter sind zuverlässig, ganz im Gegensatz zu italienischen, übrigens. Schon Mitte November lagen alle Unterlagen vor. Salvatore hatte seine Dokumente persönlich besorgt, ohne diesen Nachdruck würde er vermutlich noch immer darauf warten. Die Hochzeit wurde auf Sonntag, den 30. November, terminiert. Zack!
    Die verbleibenden zwei Wochen füllten hektische Vorbereitungen. Die ganze Familie war in hellstem Aufruhr. Mehrfach mussten Neapel oder Salerno aufgesucht werden, um Dinge zu erwerben, die es an unserer steilen Küste nicht gab. Hier gibt es nämlich kaum etwas, weil einfach kein Platz ist. Die Dörfer winden sich an den Klippen entlang nach oben, jedes Fitzelchen bebaubaren Bodens wird ausgenutzt, aber für größere Läden oder dergleichen ist beileibe kein Platz. Man lebt hier wie auf einem Eiland abseits der Zivilisation.
    Deshalb muss man für alles, was man an nicht alltäglichen Dingen braucht, weite Wege fahren, und das ist jedes Mal ein Riesenaufwand, weil man alleine mehr als eine halbe Stunde unterwegs ist, bis man die Steilküste auf der Serpentinenstraße über den Bergkamm verlassen hat. Will man gar die Küstenstraße entlang fahren, so ist man glatt eine Stunde lang unterwegs. Zum ersten Mal fühlte ich mich so richtig von der Welt abgeschnitten. Auf was hatte ich mich nur eingelassen?
    Mit den letzten Novembertagen wurde es immer kälter. Vom Meer her schwollen nicht nur Nebelschwaden heran, es kroch auch feuchte Kälte

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