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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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meinem bombastischen Gewand würdevoll durch die Kirche schritt. Von der Predigt und allem Drumherum bekam ich im Grunde nichts mit. Ich war froh, als es vorbei war.
    Dann verließen die „ sposi novelli “ – die Frischvermählten – die Kirche, um draußen von lachenden Gästen mit Bergen von Reis, Konfetti und kleinen Geldmünzen beregnet zu werden. Wir hatten Glück, es regnete nur das, nicht noch zusätzlich Wasser vom Himmel. Aber es herrschte eine unangenehme, feuchte Kälte, und so üppig mein Brautkleid auch war, der tiefe Ausschnitt und die entblößten Schultern ließen mich frösteln. Vielleicht war es aber auch die absurde Gesamtsituation.
    Den Weg zum Restaurant legten wir in einer gemieteten Limousine zurück. Zum Empfang gab es einen Aperitivo und Häppchen, während die Band fröhliche italienische Lieder anstimmte. Notgedrungen eröffneten wir als Brautpaar die Feier mit einem Tanz, und das, obwohl ich gar keine klassischen Tänze beherrsche. Es schockierte mich, dass währenddessen einzelne Gäste uns Geldscheine mit Nadeln an die Kleider steckten. Ich verdrängte den befremdenden Gedanken an eine schmierige Nachtbar. Das Gehabe war wohl die hiesige Sitte, Hochzeitsgeschenke darzubieten. Trotzdem kam ich mir wie eine gekaufte Kuh vor.
    Kaum war der Tanz beendet, da erhoben sich die Männer – und es waren viele Männer -, legten die Hand auf die Brust und intonierten aus voller Kehle die italienische Nationalhymne. Ich fühlte mich unangenehm berührt. In Punkto Nationalismus hatten die Italiener wohl keinerlei Berührungsängste. Aber es war nicht nur die Assoziation an faschistoide Volkstümelei, die mich erschütterte, ich empfand den Gesang auch deshalb als Affront, weil er mich als Nicht-Italienerin irgendwie ausgrenzte.
    Als sie fertig waren, erhob sich stürmischer Beifall, begleitet von den Jubelrufen „ viva gli sposi “ - „es lebe das Brautpaar“, und immer wieder der lauthals gebrüllten Aufforderung, „ baci, baci !“ – „Küsse, Küsse!“ Was für ein aufgesetztes Getue!
    Als ein junger Mann auf Salvatore zustürmte und ihm die teure Krawatte abschnitt, fürchtete ich schon, ich sei versehentlich in der Kölner Weiberfastnacht gelandet. Doch mein frisch angetrauter Gatte belehrte mich, dass es sich hier um eine weitere Tradition handelte: Die Krawatte wurde anschließend in kleine Stücke geschnitten und an die Gäste verkauft, der Erlös ging an uns. Na gut. Wenigstens schien es eine lukrative Veranstaltung zu werden.
    So verlief der weitere Abend mit einem opulenten Festmahl, und immer wieder wurde getanzt, gejubelt und gesungen. Zum Schluss gab es noch Torte und Sekt, obwohl doch mittlerweile alle mehr als satt sein mussten. Am allersattesten war ich, obwohl ich kaum etwas gegessen hatte. Denn ich hatte sie einfach satt, die ganzen blasierten Mätzchen.
    Der warme Vermögensregen gipfelte schließlich darin, dass Salvatores Vater uns offiziell das neue Haus zum Geschenk machte. Die nötigen Papiere wurden gleich vor Ort besiegelt, denn natürlich war unter den Gästen auch der dazu erforderliche Notar. Vielleicht sollte man doch öfters mal heiraten.
    *
    Das Fest verging und der Alltag kehrte zurück. Der Winter blieb, der ständige Regen auch. Und der gewohnte Tagesablauf im Restaurant, auch der blieb leider. Die Familie blieb, und die Abgeschiedenheit der Küstenregion, sie alle blieben gnadenlos. Ich saß in einem Käfig, der nicht einmal golden, sondern einfach nur verregnet war.
    Nur die freien Montage, die blieben nicht. Denn nun hatten wir ein eigenes Haus. Hier wurde renoviert, gestrichen, geputzt, gewienert und weiter eingerichtet. Immer im Kreise der Lieben, versteht sich. Ich hasste es und ich hasste sie alle. Am meisten hasste ich Salvatore, der außer salbungsvollen Worten nichts mehr für mich erübrigte. Was für ein Leben war das denn?
    Weihnachten und der Jahreswechsel zogen ins Land, begleitet von üppigsten Festmahlen in riesigen Familienrunden. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich erdrückten. Mir die Luft zum Atmen nahmen. Mich aussaugten wie Vampire und dann wegwarfen wie einen zerplatzten Luftballon.
    *
    Gerade da, als es am Allerschlimmsten war, nach der Silvesternacht, am ersten Tag des neuen Jahres 2009, da spürte ich zum ersten Mal, wie mein Kind sich in mir regte. Die Schwangerschaft war bislang eher ein abstraktes Konstrukt für mich gewesen. Ich hatte nichts davon gemerkt, außer, dass meine schöne schlanke Taille einem Blähbauch

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