Wie die Libelle in der Wasserwaage
gebührenden Abstand. Denn sie sind einigermaßen konsterniert über diese Angelegenheit. Das hat den Vorteil, dass sie mir nicht mehr dauernd auf der Pelle hängen. Trotzdem liebt vor allem Salvatores Mutter die Kleine abgöttisch und steht deshalb jederzeit mit Begeisterung als Babysitter zur Verfügung. Was natürlich echt praktisch ist.
Cora, mein zauberhaftes, kleines Püppchen, liebt übrigens ausgerechnet die Barbie-Girl -Puppe heiß und innig, sie ist ihr größter Schatz. Was für eine Ironie des Schicksals.
Doch ich greife vor. Vielleicht sollte ich zunächst berichten, wie es nach Salvatores tragischem Unfall weiterging.
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Er überlebte seinen Absturz, doch trug leider, neben einigen zwar unschönen, komplizierten, aber kurierbaren Knochenbrüchen, eine Querschnittslähmung davon. Vom abgewrackten Krankenhaus in Castiglione hatte man ihn ins Hospital von Salerno gebracht, wo deutlich bessere Möglichkeiten der weiteren Behandlung bestanden. Sein Arzt erklärte mir, dass unglücklicherweise der nervus phrenicus verletzt worden sei, ein im Halsbereich liegender Rückenmarksnerv, der maßgeblich für die Funktion des Zwerchfells verantwortlich sei. Sein Ausfall bewirke, dass das Zwerchfell nach oben hin erschlaffe, was die inneren Organe durcheinanderbringe und darüber hinaus die Funktion von Herz und Lunge erheblich beeinträchtige. Die größte Gefahr, die sich hieraus ergebe, seien die erheblichen Atembeschwerden, das sogenannte Hypoventilationssyndrom. Um das Überleben meines Mannes zu gewährleisten, sei deshalb eine Zwerchfellschrittmachertherapie erforderlich. Alles nicht so einfach.
Einfacher war, dass Salvatore offensichtlich keinerlei Erinnerung an den Unfallhergang hatte. Er sprach ohnehin kaum, aber ganz offensichtlich freute er sich immer, wenn er mich sah. Meine Version der Story war natürlich, dass ich auf ihn zugestürzt war, um ihn zu retten, als er bei seinem Mauerbalanceakt das Gleichgewicht verlor. Ich konnte nur hoffen, dass seine Erinnerung nicht plötzlich wieder einsetzte.
In der Zwischenzeit spielte ich weiter die schwer getroffene, hochschwangere, liebende Gattin und erntete Mitleid und Unterstützung bis zum Abwinken.
Als Cora Ende Mai geboren wurde, befand sich Salvatore noch immer auf der Reha-Station. Es war an der Zeit, das Leben danach vorzubereiten.
Ich entschied, dass das Restaurant mit Unterstützung von Salvatores Onkel und den Neffen vorerst von mir weitergeführt werden würde. Im Parterre unseres Hauses stattete ich einen Raum als Pflegezimmer aus. Ende Juni zog Salvatore dort ein.
Aber das Leben mit einem Schwerbehinderten, einem Säugling, einem betriebsamen Restaurant und nervtötender Verwandtschaft ist nicht einfach und schon gar nicht erbaulich. Es schreit geradezu verzweifelt nach einer Alternative. Ich suchte deshalb fieberhaft nach einer Erleichterung bringenden Lösung, und endlich fiel sie mir ein: Tafari! Es würde nicht leicht sein, ihn für mein Projekt zu gewinnen, nach allem was gewesen war und vor allem, nachdem ich meine Telefonnummer geändert und mich monatelang nicht bei ihm gemeldet hatte. Aber ich vertraute auf mein taktisches Repertoire.
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Ich fragte ihn kurzerhand, ob er Lust auf etwas ganz Neues habe, als ich ihn anrief. Einen Sprung in ein neues Leben, sozusagen. Dann erläuterte ich ihm kurz die Rahmenbedingungen, wobei ich mich auf die wesentlichen Dinge beschränkte. Kleine Details, wie der Grund für meinen Abgang aus Hamburg oder das nicht vorhandene Leiden meiner Mutter, spielten ja vorerst mal keine Rolle. Ich versprach ihm, dass sich die Sache für ihn lohnen werde und bot ihm einen regulären Vertrag sowie das Doppelte von seinem Gehalt im Hamburger Altenheim. Das zog.
Die italienische Familie beäugte Tafaris Einzug zwar mit Misstrauen, fand sich aber damit ab, denn seine Qualitäten als Krankenpfleger waren unbestreitbar. Seine Qualitäten in meinem Bett waren es auch, aber davon wussten sie ja nichts. Liebesgeschichten sind wie Pilzgerichte, aufgewärmt sind sie meist unbekömmlich , hatte meine Großmutter gesagt. Ich kann das nicht bestätigen.
Wir richteten unser Leben ganz leidlich ein. Das Restaurant lief gut, denn obwohl ich in durchaus zu missbilligender Weise gegen die Konventionen verstieß, indem ich mein Kind nicht taufen ließ und mit einem dubiosen Schwarzen unter einem Dach lebte, überwog das Mitleidssyndrom, man musste uns arme, gebeutelte, junge Familie schließlich solidarisch unterstützen.
Mit
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