Wie die Madonna auf den Mond kam
die Tische.
»Pavel, bring doch mal einen Schluck.« Ich holte eine Flasche Zuika. Erstmals nahm ich selber ein Glas und trank mit, ohne dass einer der Erwachsenen daran Anstoß genommen hätte. Petre Petrov bot mir eine Carpati an. Ich ignorierte den missbilligenden Blick meines Großvaters und rauchte.
Dann ergriff Petre das Wort und erinnerte an die gemeinsame Fahrt mit Istvan und mir nach Kronauburg und den Besuch bei der Pathologin Paula Petrin und dem pensionierten Kommissar mit den drahtigen Haaren. »Patrascu weiß mehr, als er sagt. Aber er will auf seine alten Tage seine Ruhe haben. Er hat durchblicken lasse n, dass hinter dem Mord an dem P farrer und dem Verschwinden seiner Leiche die Staatsmacht steckt. Die duldet weder Antikommunisten, noch will sie Grabstätten von antikommunistischen Märtyrern. Patrascu hat mehrfach gesagt, die Sache mit Johannes Baptiste würde uns verbrennen, falls wir die Flamme nicht klein hielten.«
»Und ich bin sicher«, ergänzte Istvan Kallay, »das war keine Drohung. Das war eine Warnung. Aber Petre hat recht. Auf der einen Seite tut dieser Patrascu, als jucke ihn dieser ganze Bolschewikenterror nicht, auf der anderen Seite steckt er mittendrin. Er weiß alles über den Mord an Pater Johannes, aber er sagt nichts.«
»Der hat Schiss bis zur Halskrause«, mutmaßte Petre. Hans Schneider schüttelte den Kopf. »Zwanzig Jahre hat es keinen Hintern gekratzt, was Pater Johannes in der Kirche verkündet. Ausgerechnet als er schon reichlich wirr im Kopf war, soll er plötzlich für die Sekurität gefährlich sein? Kann ich mir nicht vorstellen. Wir sollten die Möglichkeit mit der Barbulescu nicht aus dem Blick verlieren. Natürlich kann sie die Tat nicht allein begangen haben. Vielleicht hatte sie einen Komplizen. Vielleicht sogar jemanden hier aus dem Dorf.«
»Die Mörder kamen aus der Stadt. Hundertprozentig!« »Wieso das denn, Pavel? Seit wann bist du Hellseher?«, fragte mich Karl Koch.
»Das musst ausgerechnet du fragen. Du hast schließlich in dem Mordzimmer den Beweis in den Händen gehalten und dann aus dem Fenster geworfen.«
Kochs Verstand arbeitete auf Hochtouren. »Verdammt noch mal, die Maus. Die Mörder hatten dem toten Baptiste eine Maus in den Mund gesteckt. Nur der Schwanz hing heraus, wie ein Bindfaden.«
»Und die Maus haben sie bestimmt nicht vorher im Pfarrhaus gefangen, sondern mitgebracht«, sagte ich. »Und diese Maus stammte aus der Stadt. Was glaubt ihr, wie oft wir in der Schule die Geschichte von der Stadt- und der Landmaus abschreiben mussten. Hat ja nun doch einen Sinn gehabt. Stadtmäuse sind grau. Aber die Mäuse hier in Baia Luna sind braun. Daran haben die Mörder nicht gedacht.«
»Die Maus war wirklich grau«, meinte nun auch Hermann Schuster. »Du hast was auf dem Kasten, Pavel.«
Großvater nickte. »Jawohl, das hat er.«
»Aber weshalb dieser Mord? Die staatliche Sicherheit hat gerochen, dass Pater Johannes auf seine alten Tage den Bolschewiken mal so richtig Dampf machen wollte«, mutmaßte Karl Koch. »Die Sekurität hat doch überall ihre Nase im Wind.«
»Nun ist es umgekehrt. Sie machen uns Dampf. Merkt ihr nicht, dass unser Dorf immer mehr auseinanderfällt?« Großvater sprach mit einer Heißblütigkeit, die ihm niemand zugetraut hätte. »Seit Johannes tot ist, jagt ein Unglück das nächste. Seht ihr nicht, dass es bergab geht mit Baia Luna? Was ist denn von der Gemeinschaft des Dorfes noch übrig? Die eine Hälfte stellt sich hinter diese verrückte Konstantin, und wir stochern mit unseren Vermutungen im Nebel. Sekurität! Allmächtige Sekurität, höre ich die ganze Zeit. Hier im Dorf sitzt das Übel. Wir müssen uns endlich die Frage stellen, von wem hat die Sicherheit eigentlich erfahren, dass dieses angekündigte Kanzelwort für den Staat so gefährlich ist? Die haben das nicht mit ihrer Nase gerochen. Jemand muss der Sekurität etwas von dieser Predigt erzählt haben. Diesem Raducanu. Oder sonst wem. Sonst hätten die doch nie ein Mordkommando hier hoch befohlen. Seht ihr denn wirklich nicht, dass es in den Reihen unseres Dorfes einen oder gar mehrere Verräter geben muss?«
Die Männer schluckten.
»Verräter!« Ich griff zu meinem Glas und trank. Dann stand ich auf und holte mir aus dem Regal hinter der Registrierkasse zum ersten Mal vor Großvaters Augen eine Schachtel Zigaretten. Ich zog an meiner Carpati, dann drückte ich sie aus. Ein ungeheuerlicher Gedanke schoss mir durch den Kopf. Verräter! Ja, ich
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