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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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kannte jemanden, der zwar kein Verräter war, aber für diese Rolle taugte. Jemand, mit dem ich noch eine offene Rechnung hatte.
    »Jeder kommt als Judas infrage«, sagte der Ungar Kallay. »Allen war bekannt, dass Baptiste ein Kanzelwort gegen den Kommunismus angekündigt hatte.«
    »Woher willst du das wissen? «, bedachte Hermann Schuster. »Erinnert euch. Die Idee mit der Predigt kam Johannes nach dem Bolschewikengeschwätz aus dem Fernsehen. Nach der Rede von Chruschtschow. Nachdem die Russen ihren Sputnik in den Himmel geschossen hatten. Mit der Himmelfahrt eines Hundes sei die Büchse des Unheils geöffnet, das hat unser Pater hier in Iljas Butike behauptet. Darüber hat er predigen wollen.«
    »Aber er hat auch vom Kolchos gesprochen. Da bin ich mir sicher«, entgegnete Ilja. »Abends spät. Nachdem die Brancusis dir die Flasche an den Kopf geschlagen ... «
    »Wofür sich meine Söhne in aller Form entschuldigt haben«, unterbrach der alte Bogdan. »Warum müsst ihr die Suppe immer wieder aufkochen?«
    »Jedenfalls«, fuhr Großvater fort, »war die Stimmung an meinem Geburtstag verdorben, und ihr wart alle schon fort. Pater Johannes ging erst später. Er stand hier in der Tür und hatte seinen Spazierstock bereits in der Hand. Ich bot an, ihn noch ins Pfarrhaus zu begleiten. Aber er lehnte ab. Er meinte noch, bis Sonntag in der Kirche. Mit Sputnik sei das Maß voll, und es wäre allmählich an der Zeit, den Kollektivisten im Geist der biblischen Botschaft die Stirn zu bieten.«
    »Wer war denn sonst noch dabei, als Johannes das sagte?« Karl Koch fieberte vor Ungeduld.
    Großvater überlegte. »Ich natürlich. Pavel. Und Dimitru.« »Der Zigeuner! Glaubst du, der Schwarze hat Johannes Baptiste an die Sekurität verraten?« Hermann Schuster war entsetzt. »Ausgerechnet Dimitru. Nein, er ist ein Aufschneider, aber das traue ich ihm nicht zu.«
    »Ich schon«, mischte sich der Schäfer Scherban ein. »Der Zigeuner kennt weder Freund noch Feind. Wie der Judas. Für feines Geld verkauft der Schwarze seine Mutter. Ich war damals schon dagegen, dass diese Gabor-Sippe hier ins Dorf zieht. Was wollen die eigentlich noch hier?«
    »Dimitru war es nicht«, widersprach Ilja. »Er ist kein Verräter. Außerdem konnte er nichts verraten. Er hat am Ende meines Geburtstags doch gar nichts mehr mitbekommen. Dimitru war sturzbetrunken. Er ist sogar draußen die Treppe hinuntergefallen und hat sich, wie ich vermute, einige Rippen gebrochen. Pavel musste ihn nach Hause schleppen.«
    »Aber wer bleibt dann als Informant? Ich bring den Kerl um.« Karl Koch schäumte vor Wut.
    Ich stieß mein Glas um. Der Zuika floss über die Tischplatte.
    Alle Blicke flogen auf mich.
    »Da war noch jemand.« Ich zögerte einen Moment, doch es war zu spät, meine Worte zurückzuholen. »Da war noch jemand. Außer Pater Johannes, Dimitru, Großvater und mir war an diesem Abend noch jemand hier: Fritz Hofmann!«
    Zwei, drei Atemzüge lang verharrten die Männer in Sprachlosigkeit. Nicht, weil ihnen die Worte fehlten. Ich schätzte, zu viele Gedanken drängten zugleich nach vorn. Durch ihre Köpfe jagten tausend Bilder. Die ungeheure Anspannung der letzten Stunden, Tage, gar Wochen verdichtete sich in diesem einen Namen. Fritz Hofmann! Ein Schulbursche!
    Dann redeten alle durcheinander. Jeder hatte ein Mosaiksteinchen beizusteuern, das sich zu einem imaginären Puzzlebild einer Verräterfamilie zusammenfügte. War es ein Zufall, dass nur eine Woche nach dem Mord an Johannes Baptiste ein deutscher Lastwagen im Dorf auftauchte und die Hofmanns Baia Luna für immer verließen? Hatte der Priester den Schulburschen nicht vor allen Männern in Ilja Botevs Wirtsstube als neunmalkluges Hofmann Fritzchen abgekanzelt? Stand dem Burschen nach dieser Abfuhr nicht die kalte Wut im Gesicht? Sicher, ein Schuljunge verfügte wohl kaum über die Möglichkeit, seine Rachegelüste in die Tat umzusetzen. Aber sein Vater! Heinrich Hofmann, der für alles, was im Dorf geschah, nichts als Verachtung übrighatte ? Der Fotografenkünstler. Der in Scheidung lebte. Dem der Herrgott gestohlen blieb. Der Geld hatte. Ein schweres italienisches Motorrad fuhr er. Und besaß seine Frau nicht sogar einen elektrischen Herd? Der feine Herr Hofmann! Der nie grüßte, dem Iljas Schankstube nicht gut genug war und der lieber in noblen Kreisen in der Stadt verkehrte. Der mit diesem Doktor Stephanescu per Du war, dem obersten Kollektivisten im ganzen Bezirk Kronauburg. Fritz und Heinrich

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