Wie die Madonna auf den Mond kam
der Stadt seid, holt euch auch eine staatliche Schanklizenz. Ohne Konzession kriegt ihr hier bei der HO nur Limonade. Die Behörden findet ihr alle am Platz der Republik. Könnt ihr zu Fuß hinlaufen. Bis um vier sind die Ämter geöffnet.«
Mit den schlimmsten Befürchtungen und tausend Flüchen auf Staat, Partei und Sozialismus eilten wir in die Stadt und saßen zwanzig Minuten später auf einer Holzbank in einem menschenleeren Flur. An der Tür gegenüber hing eine Pappe mit dem handschriftlichen Hinweis: »Nicht anklopfen. Eintritt nur nach Aufforderung.« Neben der Tür war ein kleines Schild angebracht: »HO Konzessionen A-D.«
Wir hatten nur wenige Minuten gewartet, als sich die Tür öffnete und ein Frauenkop f hervorlugte. »Aber warum mel den Sie sich denn nicht? Treten Sie ein.« Die Frau trug ein schlichtes Kostüm und strahlte eine Freundlichkeit aus, die uns überraschte. Sie bot uns einen Platz an und fragte sogar, ob sich die Herren vielleicht mit einem Mokka stärken wollten. Wir lehnten ab.
»Aus Baia Luna sind Sie? Mir war nicht bekannt, dass es dort überhaupt ein Geschäft gibt.«
Die Frau lächelte noch immer und erklärte, im Zuge des Aufbaus des Sozialismus sei es die dringlichste Aufgabe von Staat und Partei, die Versorgungslage der Bevölkerung flächendeckend zu gewährleisten und ständig zu optimieren. Selbst ein so entlegenes Dorf wie Baia Luna solle keinesfalls bei der Entwicklung des Landes hinten anstehen. Den Fortschritt garantiere die staatliche Handelsorganisation mit ihren Genossenschaftspartnern. Dann erzählte sie noch, dass der westliche Kapitalismus schon in absehbarer Zeit zu einer dramatischen Verarmung der Massen führe, während die neue Republik stetig dem Weltniveau zustrebe.
Großvater unterbrach ihre Erörterungen. »Ich will wissen, wie es mit unserem Geschäft weitergeht. In Baia Luna gibt es weder Zucker noch Salz und Öl. Wir sind dringend auf Ware angewiesen.«
»Sollen Sie ja auch bekommen«, sagte die Frau, ohne auch nur einen Hauch ihrer Freundlichkeit abzulegen. Dann trat sie an eine Regalwand mit Aktenordnern.
»Botev. Baia Luna. Hier haben wir's schon.«
Sie schlug einen Ordner auf und blätterte. Wir erkannten sofort, dass es sich um die Lieferscheine und Rechnungen handelte, die uns die Gebrüder Hossu in den vergangenen Jahren ausgestellt hatten.
»Nun, große Mengen haben Sie nie abgenommen. Wie ich sehe, fehlen Fleisch- und Wurstwaren sowie Frischgemüse völlig. Die Bauern in Ihrem Dorf versorgen sich wahrscheinlich selbst. Privat, jeder für sich?«
Großvater nickte. »Geld ist im Dorf nicht viel vorhanden.«
»Das wird sich ändern. Treten Sie der Genossenschaft bei, und Sie werden sehen, die Versorgung wird nicht nur besser, sondern auch preiswerter. Öl, Salz und Zucker fehlen, sagen Sie. Da sich eine Übererfüllung des Plansolls abzeichnet, hat die Regierung die Preise für Grundnahrungsmittel im vergangenen Monat fast um die Hälfte gesenkt.«
Wir schauten uns sprachlos an. »Und wir können alles weiterverkaufen wie bisher?«
»Ja. Aber nicht mehr als Privatunternehmer, der seine Verkaufspreise nach eigenem Profitdünken gestaltet. Sie werden Angestellte der HO, beziehen ein festes Monatsgehalt und erhalten alle Waren auf Kommissionsbasis bei monatlicher Abrechnung. Und das bei festgelegten Öffnungszeiten Ihrer HO-Filiale von werktags acht bis zwölf und von fünfzehn bis achtzehn Uhr. Samstags natürlich nur bis mittags. Aber im Vertrauen: Nach Baia Luna fährt niemand hoch, um die korrekte Einhaltung der Ladenzeiten zu überwachen.«
Der bloße Gedanke, nicht mehr als selbstständiger Kaufmann und Schankwirt zu firmieren, war Großvater gewiss unerträglich. Ich bekam mit, wie sich sein Bauch mit stechendem Schmerz verkrampfte. Er ruckte auf seinem Stuhl hin und her und gab sich alle Mühe, seine Blähungen zu unterdrücken. Als die Staatsbeamtin jedoch das Salär nannte, das wir künftig jeden Monat von dem Geldbriefträger erhalten sollten, entwich ihm ein Wind. Es war etwa doppelt so hoch wie die Einkünfte, die bislang nach Abzug aller Kosten unter dem Strich übrig blieben.
Großvater überlegte. Ich fragte nach. »Welche Alternative gibt es zu diesem Genossenschaftsmodell ?«
»Keine«, sagte die Frau und zog ein Vertragsformular aus der Schreibtischschublade. »Sie brauchen nicht zu unterschreiben. Niemand zwingt Sie. Nur müssen Sie dann ohne Waren in Ihr Dorf zurückfahren. Um nicht erwerbslos zu sein, könnten Sie
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