Wie die Madonna auf den Mond kam
den Chauffeur, der Petre, Istvan und mich nach dem Mord im Pfarrhaus mit nach Kronauburg transportiert hatte, wo die Leichen von Fernanda Klein und Johannes Baptiste angeblich obduziert werden sollten. Der Fahrer riss die Wagen türen auf und griff sich zum Salut an die Mütze. Heinrich Hofmann trat aus seinem Atelier. Dann sah ich jenen Mann, den ich seit der Lektüre des Tagebuchs der Angela Barbulescu kannte wie kaum ein anderer. Hinter Herrn Hofmann verließ Dr. Stefan Stephanescu das Fotostudio. Beide trugen dunkle Anzüge aus feinem Garn, scherzten miteinander und waren zweifelsfrei in blendender Stimmung.
Mir wurde schwarz vor Augen. Meine Knie drohten wegzubrechen. Mühsam schleppte ich mich zu einem Laternenpfahl und klammerte mich fest. Das konnte nicht wahr sein. Die hübsche Frau, die nach Stephanescu aus Hofmanns Geschäft trat, war unmöglich Angela Barbulescu. Aber sie sah so aus. Wie die junge Angela auf dem Foto mit dem Kussmund. Die Frau in der Ladentür war Anfang zwanzig, hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und lachte. Die Ähnlichkeit war erschreckend. Ich sah, wie Heinrich Hofmann ihr offenbar noch ein paar Anweisungen gab, bevor er hinten in die Limousine einstieg. Die Blonde trat auf Stephanescu zu und reichte ihm die Hand. Beiläufig strich er ihr über die Wange, dann nahm er auf dem Beifahrersitz Platz. Der Chauffeur schlug die Türen zu, putzte mit einem Taschentuch die Außenspiegel blank und setzte sich hinter das Lenkrad. Sie winkte zum Abschied.
»Nur junge Frauen. Alle hübsch und alle blond«, hatte Fritz gesagt, nachdem er in den Umzugskisten seines Vaters geschnüffelt und höchst anzügliche Fotos gefunden hatte.
Als die Regierungskarosse davonbrauste, nagte an mir kein Zweifel mehr. Angela Barbulescu hatte ihr Todesurteil gesprochen, in dem Moment, als sie ganz unten war und frei von jeder Furcht in ihr Tagebuch schrieb, die Bilder, die Hofmann in Florins Praxis mit all diesen »ekligen Freunden gemacht hat, sind widerwärtig. Sie haben lange Jahre meinen Mund verschlossen. Jetzt nicht mehr. Von mir aus kann Hofmann diese Bilder an den Pfarrer im Dorf schicken. Macht damit, was ihr wollt. Hängt meine Bilder an jeden Laternenpfahl. Ich habe keine Angst mehr.«
Ich begriff, Angela war einem tragischen Irrtum erlegen.
Niemals würden sich diese beiden Herren die Finger schmutzig machen. Die Macht von Heinrich Hofmann und Stefan Stephanescu bestand im Erzeugen von Furcht. Ihre Waffe war die Drohung. Beseitigt wurde nur, wer die Furcht ignorierte. So wie Angela, die reden wollte, weil sie nichts mehr zu verlieren hatte. Hatte Angela Barbulescu wirklich freiwillig den Strick genommen? Oder hatten diese beiden Männer ihren vermeintlichen Freitod an einem Baum auf dem Mondberg in Szene setzen lassen?
»Hast du das gesehen?«, fragte mich Großvater atemlos. »Nun ist dieser Priesterverräter weg. Ich sag dir, Hofmann, dieser Hund, steckt in der Bonzenbande ganz dick drin.«
Ich schwieg und überlegte. Zwei Reisetaschen, zwei Männer, ein Chauffeur. Hofmann und Stephanescu würden einige Tage unterwegs sein. »Mächtige stürzen vom Thron«, hatte Angela in ihre grüne Kladde geschrieben. Sie hatte sich geirrt. Der Kronauburger Parteichef hatte alles erweckt, nur nicht den Eindruck, als würde die Prophezeiung der Lehrerin in absehbarer Zeit Wirklichkeit.
»Der steckt wirklich dick mit drin«, lieferte ich meinem Großvater eine späte Erwiderung. »Aber jetzt ist Hofmann weg. Schauen wir uns seinen Laden mal an.«
Ich hatte mir das Fotogeschäft des Heinrich Hofmann wesentlich kleiner vorgestellt. Zum Markplatz hin vermittelten drei ausladende Schaufenster eine imponierende Vorstellung vom Schaffen des Fotografenmeisters. In dem mittleren Fenster hingen drei riesige Porträtbilder, von denen ich zwei bereits kannte. Eines hatte ich in Baia Luna in kleinerem Format neben Präsident Gheorghiu-Dej an die Wand gehängt. Hier im Schaufenster wirkte der kleine Stalin noch imposanter und staatsmännischer. Und das trügerische Lächeln des Kronauburger Parteivorsitzenden Stephanescu entfaltete seine gewinnende Wirkung noch offensichtlicher. Das dritte Foto zeigte eine Gruppenaufnahme mit den neunundsiebzig Mitgliedern des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Die anderen Schaufenster waren so gestaltet, um auch gewöhnliche Sterbliche für die Anfertigung eines Lichtbilds zu werben. Links waren Hunderte kleiner Passfotos zu einem überdimensionalen Puzzle
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