Wie die Madonna auf den Mond kam
krähte, das Niveau in Baia Luna sei nicht mehr zu unterbieten, wenn der Dorfkrämer seine Kundinnen mit einer Schnapsfahne empfange, riss meiner Mutter der Geduldsfaden.
»Es reicht! «, herrschte sie ihren Schwiegervater an, in einem Ton, der unmissverständlich klarmachte, dass sie gewillt war, im Hause Botev den Besen zu wirbeln. Sie schimpfte sich derart in Raserei, dass ihre Wut auch Tante Antonia und mich traf. Antonia lag meistens dösend im Bett, und auch ich hatte mich keinen Deut mehr um meine Pflichten in Laden und Schankbutike gekümmert. Wir alle ließen das Donnerwetter meiner Mutter wie begossene Pudel auf uns herabregnen.
»Was auch immer im Dorf geschehen sein mag, das Leben geht weiter. Und es ist die verdammte Pflicht von euch Männern, eure Arbeit zu erledigen. Wenn ihr nicht sofort aus euren Löchern kriecht, bin ich weg. Ich garantiere euch, dass ich in die Stadt ziehe. Verlottert weiter in eurem Jammer. Aber nicht mit mir!«
So hatten ich meine Mutter und Ilja seine Schwiegertochter noch nie erlebt. Doch der Schock ihres Zornes war heilsam. Wir begriffen sofort, was zu tun war. Allein die Aussicht, nach Kronauburg zu fahren, erweckte mich aus der Lethargie und ließ jene Widerstandskräfte lebendig werden, die ich für meine Mission so dringend brauchte: Gerechtigkeit für meine einstige Lehrerin Angela Maria Barbulescu. Ich nahm einen Schreibblock und half Großvater bei der Inventur des Warensortiments. Es fehlte an allem. Über die langen Wintermonate waren Öl, Zucker und Malzkaffee ausgegangen. Der Salzvorrat reichte nur noch für wenige Tage. Die letzten Flaschen Silvaner waren schon vor Wochen ausgetrunken, und die gläserne Bonbonniere mit den amerikanischen Kaugummis war auch leer. Die Fahrt zum Großhändler nach Kronauburg war längst überfällig. Während Kathalina den Dielenboden schrubbte und die Regale abstaubte, brachte ich mit Großvater die Kutschkarosse in Schuss, mit der wir am nächsten Morgen zu dem Grossisten in der Bezirksstadt aufbrechen wollten.
Schläfrig vom frühen Aufstehen, hingen wir auf dem Bock, gähnten ab und an und beschränkten unsere Unterhaltung auf das Nötigste. Wenn, dann sprachen wir über unsere Befürchtung, die Einkaufspreise könnten wie jedes Jahr wieder gestiegen sein. Ich teilte die Besorgnis, dass die dürftigen familiären Finanzrücklagen womöglich nicht ausreichten, um alle Waren in der nötigen Menge zu beschaffen, zugleich spürte ich während der Fahrt, der Beruf von Kaufmann und Schankwirt in den Fußstapfen meines Großvaters war nicht die Aufgabe, mit der ich den Rest meines Lebens zu verbringen gedachte. Doch was sonst sollte ich tun?
Gegen sieben Uhr erreichten wir die Schweischtaler Senke mit ihren ausgedehnten Feldern, die einst Eigentum der reichsten Grundbesitzer in Transmontanien gewesen waren. Bis hierhin war das Kronauburger Land bereits kollektiviert, und die Bergbauern aus Baia Luna rechneten damit, dass auch ihre bescheidenen Landparzellen schon bald der Zwangsenteignung zum Opfer fallen würden. Hinter Apoldasch passierten wir die künftigen Stallungen fü r die Rinderzucht und Schweinem ast, deren Ausmaße ebenso beeindruckten wie ihre monotone Ausrichtung, die exakt einer Vorgabe am Reißbrett folgte. Überall ragten Baukräne in den Himmel, Planierraupen zerfurchten den schweren Boden, und Lastwagen karrten Baumaterial heran. Auf überdimensionalen Plakaten war zu lesen, dass der neue volkseigene »Agroindustrielle Komplex Apoldasch II« bereits zum 1. Juni eingeweiht werden sollte, ein Ereignis, zu dem sogar der Staatspräsident Gheorghiu-Dej erwartet wurde. Als wir die Grenze der Mastfabrik erreichten, staunten wir nicht schlecht über zweiundzwanzig fabrikneue Traktoren, die in Zweierreihen ausgerichtet waren und in strahlendem Orangerot in der Morgensonne glänzten. Zweifelsohne stammten die Z ugmaschinen aus dem neuen Trak torenwerk »Freude des Vaterlandes« in Stalinstadt. Großvater deutete auf die Trecker. »Die hat unser Alexandru Schraube für Schraube zusammenmontiert. Dafür bekommt er bestimmt eine schöne Urkunde.« Nach langer Zeit lachte ich wieder.
Gegen elf erreichten wir den Stadtrand von Kronauburg und lenkten unser Fuhrwerk zu dem Lebensmittelgrossisten, bei dem schon Iljas Vater Borislav Kunde gewesen war. Doch statt des vertrauten Firmenschildes »Gebrüder Hossu. ImportExport-Großhandel« fanden wir eine Hinweistafel »Volkseigener Betrieb. Konsumkomplex Handelsorganisation
Weitere Kostenlose Bücher