Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
Vom Netzwerk:
sich natürlich in einem der neuen Staats betriebe um eine Stelle bewerben. Soweit ich in der Region den Überblick habe, käme der neue Agrokomplex in Apoldasch infrage. Aber unter uns, wer bei der Notwendigkeit der Kollektivierung seines privaten Unternehmens mangelnde Einsicht an den Tag legt, glauben Sie allen Ernstes, der fände eine Anstellung in einem Staatsbetrieb ? Ich bitte Sie, meine Herren.« Sie lächelte noch immer. »Unterzeichnen Sie den Vertrag, und ich garantiere Ihnen, es wird nicht zu Ihrem Schaden sein. Und ich versichere Ihnen auch, bislang hat nur ein Privater nicht unterschrieben. Und wissen Sie, was passiert ist? Aufgebracht, wie er war, knallt dieser Mensch die Tür, stürmt raus auf die Straße und rennt vor einen Lastwagen. Der Arme liegt noch immer im Spital und wird nie wieder auf eigenen Beinen stehen. Wie soll der Mann nun seine Familie ernähren? Frau und fünf Kinder. Wenn er zwei Minuten vorher unterschrieben hätte, wäre ihm die Invalidenrente der HO-Genossenschaftler sicher gewesen. Aber nun? Nichts. Hier ist der Kontrakt. Darin ist alles geregelt. Nehmen Sie sich Zeit und lesen Sie alles in Ruhe durch. Vielleicht jetzt einen Mokka?«
    Wir lasen. Ohne im Detail alle Modalitäten zu verstehen, schien der Vertrag eine durchaus reelle Angelegenheit zu sein, die, soweit ich beurteilen konnte, keine Fallstricke und Tücken barg.
    »Was ist mit unserer Wirtsstube? «, fragte Ilja. »Man sagte mir, ich bräuchte eine Schankkonzession.«
    »Sie sind auch Gastwirt?« Die junge Dame war verwirrt. »Ich bin Schankwirt und Kaufmann. Das ist seit Generationen im Haus meiner Familie üblich.«
    »Und das alles in denselben Lokalitäten! So was gibt es aber auch nur in den Bergen. Lebensmittelverkauf und Wirtshaustreiben unter einem Dach? Unglaublich!«
    »Wo denn sonst? «, warf ich ein.
    »Nun, ich will das nicht gehört haben. Lebensmittelhygiene fällt nicht in meine Zuständigkeit. Für die Schanklizenz sind Sie hier falsch. Da müssen Sie zwei Stockwerke höher. Abteilung HO-Genussmittel und Gastronomie. Die werden Ihnen den gleichen Vertrag vorlegen wie wir von der HO-Nahrungsmittel. Ohne Vertrag kein Verkauf von Spirituosen.« Die Frau überlegte einen Moment. »Wissen Sie was? Ich erledige das für Sie. Diese Rennerei von einer Behörde zur nächsten ist bestimmt nicht sehr angenehm. Vor allem, wenn man aus den Bergen stammt und sich nicht auskennt. Ich brauche nur Ihre Personalpapiere. «
    Großvater kramte seinen Ausweis hervor. Die Beamtin betrachtete den Pass und schüttelte den Kopf. »Der ist nicht mehr gültig. Der stammt ja noch aus der Zeit von König Carol. Und auf dem Bild? Das sollen Sie sein? Nein, nein, Ihre Papiere müssen unbedingt erneuert werden. Unten am Markt ist ein Fotogeschäft. Foto Hofmann. Da können Sie neue Lichtbilder machen lassen. Ohne einen aktuellen Ausweis kann ich Ihnen beim besten Willen keine Schankerlaubnis besorgen. Kommen Sie morgen Vormittag mit den Bildern wieder.«
    Als wir die Kollektivierungsbehörde verließen, sagte ich nur: »Wir haben keine Wahl.« Großvater nickte.
    Auf dem Marktplatz gegenüber der Polizeiwache fiel mir wieder der moderne HO-Konsum auf, der mich im letzten November gewaltig beeindruckt hatte, als ich mit Istvan und Petre vergeblich nach dem Verbleib des toten Baptiste geforscht hatte. In Baia Luna sprach man nur noch selten über den vermissten Leichnam. Jetzt, im Frühling, plagten die Dorfbewohner andere Sorgen als das leere Grabloch vor der Kirche. Als ich am Kronauburger Markt erneut vor der riesigen Fensterfront des HO-Ladens stand, schien mir das Geschäft weit weniger imponierend, als ich es in Erinnerung hatte. Das Schriftbanner mit den roten Lettern »Dank dem Sozialismus. Dank der Partei« hing noch immer schlaff über dem Eingang, hatte aber in den Wintermonaten sichtbar unter der Witterung gelitten.
    Ich sprach einen Passanten an. »Foto Hofmann. Ist das hier irgendwo?« Meine Knie zitterten vor Aufregung.
    »Sie stehen fast davor«, erwiderte der Mann. »Dort, wo der Regierungswagen parkt.«
    Großvater wollte gerade loswettern, für nichts auf der Welt ließe er sich von diesem Sekuristenspitzel Hofmann fotografieren, als ich ihn anherrschte: »Sei still. Schau dir das an!« Ich starrte zu der schwarzen Luxuslimousine mit den verchromten Stoßstangen, die vor dem Fotoatelier parkte. Ein uniformierter Fahrer mit einer Schirmmütze klappte den Kofferraum auf und verstaute zwei Reisetaschen. Ich erkannte

Weitere Kostenlose Bücher