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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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dunklem Kleiderstoff, baute den Vergrößerer auf einem alten Bügeltisch zusammen und überprüfte die Funktion von Zeitschaltuhr und Lichtquelle. Dann rührte ich getreu den Instruktionen Soda, Natriumsulfid, Metol sowie Salze zur Bildstabilisierung mit Wasser an und füllte den Entwickler und die Fixierflüssigkeit in die entsprechenden Schalen. Zuletzt schloss ich die Rotlichtlampe an und öffnete die Schachteln mit den lichtempfindlichen Papieren.
    Enttäuscht stellte ich fest, dass die meisten Schachteln bereits angebrochen waren. Sie enthielten belichtete Fotografien, die mich nicht interessierten, aber viel über die Leidenschaft des einstigen Besitzers verrieten. Braunbären und brunftige Hirsche beim Revierkampf zählten eindeutig zu seinen Lieblingsmotiven. Leider blieben von den diversen Kartons nur wenige unbelichtete Papiere für meine eigenen Fotoabzüge übrig.
    Ich zog meinen kostbarsten Besitz hervor, den ich zuvor aus der Kirche geholt hatte, das Negativ. Ich spannte den Film in die Bildbühne und schaltete das Licht des Vergrößerers an. Er funktionierte. Mittels einer Kurbel ließ sich der Kopf des Vergrößerers so weit hochdrehen, bis der Lichtkegel den Umrissen eines Plakates entsprach. Ich stellte das Negativ scharf, löschte das Licht und legte probeweise ein Fotopapier in den Vergrößerungsrahmen. Da mir jede Erfahrung über die Länge der Belichtungszeit fehlte, gelang es mir erst nach einigen Fehlversuchen, den richtigen Wert zu ermitteln.
    Zwei Stunden später betrachtete ich das Ergebnis meiner Arbeit. An einer Wäscheleine im Pfarrkeller hingen fünf Fotoplakate. Zwei von ihnen verdarben während der Trocknung. Blieben drei Bilder übrig. Die Großaufnahmen zeigten Doktor Stephanescu mit pomadigem Haar, der einer Frau in einem Sonnenblumenkleid Schaumwein zwischen die nackten Schenkel spritzte, während im Hintergrund ein Mann mit Brille, ich schätzte Florin Pauker, Hand an sich legte. Diese drei Abzüge würden einschlagen wie eine Bombe. Ihre Wucht würde den Parteichef Stephanescu vom Sockel stürzen. Angela hatte in ihr Tagebuch geschrieben: »Hängt meine Bilder an jeden Laternenpfahl.« Ich kannte einen besseren Ort, um den Kronauburger Parteichef öffentlich zu präsentieren. Berauscht von dem Gedanken an den Erfolg meines Kreuzzuges, machte ich einen Fehler.
    Dimitrus Madonnenbilder mussten noch entwickelt werden.
    Als ich den Film aus der Kamera zog, traf mich die Erinnerung an eine Erklärung der Laborantin Irina Lupescu wie ein Keulenschlag: Schon der kleinste Lichtstrahl verdirbt das lichtempfindliche Material. Ich hielt Dimitrus Film in den Händen und bemerkte zu meiner Bestürzung, dass die Lampe brannte. Der letzte Funke Hoffnung, auf den Negativen sei eventuell noch irgendein Detail erkennbar, erlosch, als ich den Film aus dem Entwickler zog. Der Filmstreifen war durchsichtig wie Glas. Das bedeutete, das Positiv würde nichts als eine schwarze Fläche. Doch mit solch einem Bild durfte ich Dimitru und meinem Großvater auf keinen Fall unter die Augen treten. Ich überlegte. Der Glaube, die Muttergottes abgelichtet zu haben, war nichts als eine Spinnerei zweier verrückter, aber harmloser Männer, die mit ihren abstrusen Ideen alles anrichten konnten, nur keinen Schaden. Sollte ich sie enttäuschen? Oder sollte ich ihnen zu Gefallen zu einer fotografischen Manipulation greifen? Dimitru hatte behauptet, er habe gesehen, was auch der Apokalyptiker Johannes gesehen hatte. Soweit ich mich e rinnerte, war am Himmel ein Zeichen erschienen, ein strahlendes Weib, den Mond unter den Füßen, auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen. Irgendetwas in dieser Art musste ich auf das Papier bringen.
    Ich suchte alles Kleingeld zusammen, eine große Zehnermünze sowie ein knappes Dutzend kleiner Alustücke. Lediglich vier Fotopapiere in der Größe einer Postkarte fanden sich in der Pappschachtel. Ich legte ein unbelichtetes Blatt unter den Vergrößerer und setzte die große Münze genau in die Mitte. Die anderen Münzen drapierte ich um sie herum. Dann schaltete ich für einen kurzen Augenblick das Licht an und gab das Papier in das Entwicklerbad. Schon nach wenigen Sekunden färbte es sich schwarz, mit einem runden weißen Fleck im Zentrum, umgeben von kleinen weißen Punkten. Ich wiederholte die Prozedur mit den verbliebenen Papieren, wässerte sie und wedelte sie in der Luft, bis sie trocken waren.
    Großvater und Dimitru saßen noch immer am Küchentisch. Sie hatten die

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