Wie die Madonna auf den Mond kam
Transport auf dem ruckenden Pferdefuhrwerk möglicherweise vertauscht worden. Der Defekt zeigte sich darin, dass der Rundfunkempfänger mitunter stundenlang die beste Klangqualität lieferte, um plötzlich wieder zu knattern oder für kurze, aber entscheidende Momente ganz zu verstummen. Dann schnippte der gereizte Zigan mit den Fingern der rechten Hand, während er mit der Linken unablässig an dem Knopf für die Senderwahl drehte, was derart an Kathalinas Nerven sägte, dass sie regelmäßig den Stecker aus der Dose zog.
Kurz nach dem Triumph der Sowjetunion nach Gagarins Flug ins All vernahmen wir die Nachricht, dass Großvaters so heiß geliebtes Amerika nicht nur miserable Raketen konstruierte, sondern auch auf der politischen Weltbühne schlechtes Theater spielte. Als er den Namen Fidel Castro vernahm, wurde Ilja hellhörig. Dimitru drehte die Lautstärke bis zum Anschlag. Amerika hatte offenbar versucht, den in Kreisen der Transmontanischen Arbeiterpartei so gefeierten Revolutionär zu stürzen. Weil Castro sämtliche Kapitalisten aus Kuba verjagt hatte, die Proletarisierung vorantrieb und nun auch noch mit der Sowjetunion paktierte, hatten die USA zur Gegenoffensive ausgeholt. Glaubte man dem Radiosprecher, dann waren konterrevolutionäre Kubaner mit ein paar lausigen Dollars in die USA gelockt worden, um sie bis an die Zähne bewaffnet gegen die eigenen Landsleute nach Kuba zurückzuschicken. Was dann genau auf Kuba geschah, blieb letztlich ein Rätsel, da das Radio wieder seine Tücken hatte. Zumindest hörten Großvater und Dimitru wiederholt den Namen des amerikanischen Präsidenten, der Chruschtschow bereits nach Gagarins Flug ins Weltall ein Glückwunschtelegramm geschickt hatte. Anscheinend hatte dieser John Eff Kennedy auch die Erstürmung Kubas angeordnet, um den Bewohnern die amerikanische Freiheit zu bringen, die man auf der Insel der Revolutionäre aber nicht schätzte. Fidels Rebellengarde, so verstand Dimitru, hatte alle Eindringlinge in eine Bucht mit Schweinen geworfen, woraufhin mein mittlerweile bibelfester Großvater nur ergänzte, schon Jesus habe dereinst Dämonen ausgetrieben, ihnen befohlen, in die Schweine zu fahren, die sich daraufhin ins Meer stürzten und ersoffen. Für mich bargen die Nachrichten den wahren Kern, dass Kennedys Leute den Sturz Castros vermasselt hatten. Ilja und Dimitru fragten daher folgerichtig, ob die Klugheit der Amerikaner ausreiche, die geheimen Pläne eines Koroljow nicht nur zu durchschauen, sondern ihm auch eine wirksame Strategie entgegenzusetzen.
»Amerika«, forderte Großvater, »muss endlich reagieren.« Und es reagierte. Am 25. Mai 1961. Der Präsident der Vereinigten Staaten hatte vor dem amerikanischen Kongress eine Rede von höchster nationaler Dringlichkeit gehalten. Er sprach von einer bevorstehenden Schlacht zwischen der Freiheit und der Tyrannei, die Amerika, egal, wie sie letztlich ausgehe, in jedem Fall gewinnen werde. Und den Kampf um die Eroberung des Weltalls auch. Kennedy proklamierte: »Unsere Nation wird sich zum Ziel setzen, noch vor Ende dieses Jahrzehnts einen Menschen zum Mond und wieder heil zur Erde zurückzubringen! «
Bevor Ilja und Dimitru ihr Glück begriffen, beanspruchte ein Rundfunkkommentar ihre ganze Aufmerksamkeit. Der Transmontanische Staatsratsvorsitzende Gheorghiu-Dej, der als strammer Verbündeter Moskaus galt, sprach persönlich. In einer Auslassung über die weltpolitische Lage erklärte er, der Größenwahn der USA bei der Eroberung des Himmels wachse im umgekehrten Verhältnis zu den irdischen Misserfolgen. Kennedy habe seinen utopischen Plan, zum Mond zu fliegen, nur deshalb verkündet, um national und international für Wirbel zu sorgen, um von seinem Kuba-Desaster und von privaten Sex-Affären abzulenken. Als Dimitru hörte, Kennedys triebhafte Fremdgeherei mit einem ständig alkoholisierten und Tabletten schluckenden Filmflittchen habe ihn innenpolitisch geschwächt, klatschte er jauchzend in die Hände.
»Die Bolschewiken kriegen kalte Füße. Sie werden nervös.
Jetzt schnüffeln ihre Spürhunde sogar schon im Präsidentenbett. Wenn dem Russen oben in der Birne nichts mehr einfällt, haut er unten auf die Eier. Aber ein Mann, der unbedingt zum Mond will, stolpert nicht über Weibergeschichten. Glaub mir, Ilja, wenn einer Koroljow stoppen kann, dann unser John Eff.« Dimitru hielt inne und schlug sich gegen die Stirn. »Mensch, Ilja! Diese Geschichte mit der Präsidentengeliebten! Das ist Fügung! Auf
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