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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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ganze Nacht gewartet. Dimitru keuchte vor Ungeduld. »Und? Und? Ist es was geworden?«
    »Wie man's nimmt«, erwiderte ich. Dann legte ich vier schwarze Fotos mit weißen Punkten auf den Tisch.
    Dimitru erstarrte. »Was, was soll das sein?«
    »Keine Ahnung, was du da oben am Mondberg fotografiert hast«, antwortete ich kühl, »aber es sieht irgendwie bemerkenswert aus. Könnten Mond und Sterne sein. Vielleicht waren aber auch die Fotoblitze zu grell und haben alles überstrahlt.«
    »Aber das ist doch keine Madonna.« Auch Großvater war grenzenlos enttäuscht. »Was hast du denn da bloß fotografiert, Dimitru? Du hast doch behauptet, du hättest sie gesehen.« »Hab ich auch. Ich schwör's. Ich hab sie wirklich gesehen.« »Und wie sah deine Madonna aus?« Dimitru hatte keinen Sinn für den Spott in meiner Stimme.
    »Schön! Schön sah sie aus. Madonnen sehen immer schön aus.«
    Dimitru stand auf. Niedergeschlagen vor Enttäuschung und gezeichnet von Müdigkeit, schlurfte er zurück zur Siedlung der Zigeuner. Sieben Tage und sieben Nächte vergrub er sich in seinem Bett und verströmte einen solchen Hauch von Bitterkeit, dass nicht einmal seine eigenen Leute wagten, ihn anzusprechen.
    Als er sich endlich an einem Samstagmorgen von seinem Lager erhob, erschraken nicht nur die Zigeunerkinder. Dimitrus üppiger schwarzer Bart war grau geworden. Er machte sich auf den Weg in die Bibliothek, die er seit dem Ende seines Schweigegelübdes nicht mehr betreten hatte. Die Bücher lagen noch immer verstreut umher, und noch immer schwängerte der abgestandene Dunst der Grübelei die Luft. Dimitru zog die Vorhänge zur Seite, riss alle Fenster auf und lüftete. Dann machte er sich daran, alle Bücher wieder in die Regale einzustellen. Nachdem er die Stätte des Chaos in einen Hort der Ordnung verwandelt hatte, ging er zurück zu seiner Sippe, setzte sich auf einen Stuhl in die warme Junisonne und rief nach den Frauen. Er verlangte, man möge alles an ihm, was an den biblischen Moses erinnere, auf der Stelle entfernen. Die Frauen gehorchten. Eine Viertelstunde später war Dimitru seinen prächtigen Bart los. Anschließend stieg er in den Badezuber, ließ sich den Rücken abschrubben und sich trocken reiben. Dann parfümierte er sich mit» Tabac oriental« ein. Er schlüpfte in ein weißes Hemd und zog den schwarzen Anzug an, den er gewöhnlich nur während seiner Geschäftsreisen trug, setzte einen breitkrempigen Hut auf und spazierte zu seinem Freund Ilja.
    Kathalina, Großvater, meine Tante Antonia und ich hockten in der Küche und erkannten Dimitru erst auf den zweiten Blick.
    »Unglaublich«, sagte Antonia, »was bist du für ein schöner und stolzer Mann.« Auch Kathalina war mächtig angetan. »Du scheinst ja in deinen besten Jahren endlich vernünftig zu werden. Setz dich und iss mit.«
    Als die Frauen den Tisch abgeräumt hatten, sagte Dimitru: »Ilja, ich war ein Idiot. Ich glaubte, die selige Jungfrau unterwerfe sich den Gesetzen optischer Apparate. Gibt es einen schlimmeren Irrtum? Wie kann ein Mensch von Verstand nur annehmen, die Madonna ließe sich in einem Laboratorium mit chemischem Gebräu auf ein Blatt Papier zaubern?«
    Großvater holte die Bilder mit den weißen Punkten hervor. »Schau nur, Dimitru! Schau her! Die Sache sieht so schlecht nicht aus. Als du sie gesehen hast, war die Madonna da sehr hell ?«
    »Wie die strahlende Sonne.«
    »Und die Apostel, waren die auch da?« »Wie Sterne auf ihrem Strahlenkranz.«
    Aufgeregt tippte Ilja auf die Fotografien. »Mensch, Dimitru. Das ist es. In der Mitte, der weiße Kreis, das ist sie. Genau in der Mitte des schwarzen Dunkels, verstehst du! Doch so hell, wie sie ist, überstrahlt sie einfach alles. Und um sie herum, die kleineren Punkte, das sind die Apostel. Die Bilder sind ein Beweis für den, der die Sprache der Zeichen zu deuten vermag.«
    Dimitru wurde hellhörig. »Nicht uninteressant, was du da sagst.« Dann zählte er, bis elf. »Ein Punkt fehlt. Es müssten zwölf sein. Zwölf Apostel, zwölf weiße Kreise. Ich zähle aber nur elf.«
    »Genau, ist mir auch schon aufgefallen.« Großvater stand die Erregung im Gesicht. »Seit ich die Bibel lese, denke ich logisch. Dimitru, das solltest du auch tun. Es müssen elf Apostel sein. Keine zwölf. Und weißt du, warum?«
    »Sag's mir!«
    »Bei seinem letzten Abendmahl hatte Jesus Zwölfe um sich geschart. Aber wir müssen davon ausgehen, dass seine Mutter oben auf dem Mond den Verräter ihres Sohnes nicht in

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