Wie die Madonna auf den Mond kam
Gefährten.
»Alles war umsonst. Maria ist niemals leibhaftig in den Himmel aufgefahren. Hier steht es. Gott selbst spricht in seinem wahrhaftigen Wort, nur einer stieg auf in den Himmel. Allein Jesus, der Menschensohn. Sonst niemand. Warum hat uns das keiner gesagt? Hätte ich das früher gewusst! Ich hätte Ilja doch nie aus Baia Luna fortziehen lassen. Es ist allein meine Schuld. Ich habe den Freund in den Irrtum meines Lebens hineingezogen. Maria war Mensch und blieb Mensch. Sie ist nicht auf dem Mond. Sie ist zerfallen zum Staub der Erde. Ilja wird mir niemals verzeihen. Niemals.«
»Aber Maria ist im Himmel! Du hast mir doch selber erzählt, du hättest sie damals gesehen, auf dem Mondberg, beim Blick durch das Teleskop.«
»Antonia, Antonia«, heulte Dimitru. »Ich hab sie gesehen! Gewiss! Aber ich erinnere mich nicht mehr. Ich war doch so betrunken, weil dein Neffe Pavel uns den vielen Schnaps mitgegeben hat!«
»Und das Dogma des Papstes? Die Aufnahme der Gottesmutter in den Himmel wurde doch unfehlbar verkündigt!«
»Eine Lüge! Ich weiß nicht, warum, aber es ist eine Lüge. Wie soll ein Zigeuner wie ich durchschauen, weshalb der Papst sein weltliches Wort über das göttliche Wort im Evangelium stellt? «
Als Antonia dem nichts zu entgegnen wusste, spürte sie, wie ihr Dimitru in ihren Armen zu einem erbarmungswürdigen kleinen Greis verkümmerte.
13
Der Abgrund hinter den Worten, unverhoffte Begegnungen und der gefährlichste aller Feinde
Heute, da ich im Alter zurückschaue, kommt mir die Goldene Epoche vor wie der Aufstieg und Fall eines Himmelssterns, einer Sonne gleich, die eine Weile leuchtet und Wärme spendet, bis sie sich aufbläht zu einem gigantischen Roten Riesen, der schließlich unter der Last seiner Masse kollabiert. Am Ende blieb von der Neuen Nation nichts als ein gieriges schwarzes Loch, das meine Lebenszeit verschlungen hatte und in dem die glühenden Träume meiner Jugend zu Eis erkaltet waren.
Wir konnten keine Farben mehr sehen. Obwohl in Baia Luna die Wiesen im Frühling grün waren, der Himmel im Sommer blau und der Schnee im Winter weiß, sahen wir nur grau. Wir waren blind. Und wir waren stumm. Es gab eine Zeit, da schwiegen wir aus Furcht vor der staatlichen Sicherheit. Doch die Angst vor Oberst Raducanu und seinen Leuten hatte mich nie gelähmt, sie hatte mich wach gehalten. Wir wurden stumm, weil es hinter den Worten leer wurde. Da war nichts mehr. Nur ein Abgrund. Natürlich haben wir noch gesprochen, aber die Dinge lösten sich auf und verschwanden in ihren Namen. Die Zeit war so verbraucht, dass die Namen der Dinge entbehrten und man nicht mehr mit dem Finger auf sie zeigen konnte. Man konnte nicht mehr sagen: Das da ist das, was man es nennt.
Die Kirche war kein Haus Gottes mehr, nur noch ein totes Gemäuer aus Stein. Die Turmuhr war keine Uhr mehr. Der Priester war kein Seelsorger mehr und der Friedhof kein Ort der letzten Ruhe, sondern ein Platz, wo man Leichen verscharrte. Selbst das Ewige Licht war nur noch eine glimmende Ölfunzel. Nichts war mehr, wie es sich nannte.
Unser familieneigener HO- Volkskonsum mit seinen leeren Regalen war bloß noch dem Namen nach ein Kaufladen. Es gab keinen Zucker, keine Milch, kein Öl, nur rationiertes Maismehl. Und Tomaten in Blechdosen. Davon hatten wir genug. Aber sonst nichts. Um wenigstens an den Festtagen ein paar Fettaugen auf der Suppe zu haben, liefen die Dorffrauen vor Weihnachten in die Bezirksstadt. Zu Fuß, weil ohne Diesel kein Bus mehr fuhr. Ich erinnere mich gut daran, wie meine Mutter mit einer Schweinepfote und zwei Hühnerkrallen zurückkehrte. Wütend wie Kathalina war, ließ sie ihren Zorn an dem Pfarrer aus. »Fahr zur Hölle, du Totengräber«, sagte sie ihm ins Gesicht. Jeden Morgen aß Antonius Wachenwerther in seinem Pfarrhaus Würste, Eier und den Speck, den ihm die Leute zutrugen, während die Kinder im Dorf wochenlang keinen Schluck Milch zu trinken hatten.
Ich selbst ging nicht mehr in die Kirche, nachdem der Priester die Gebeine des ungetauften Zigeuners Laszlo Gabor hatte ausgraben lassen. Das hatte zwar Zustimmung im Dorf gefunden, aber nicht bei allen. Die Kallays, die Petrovs und die Scherban-Brüder hat man danach nicht mehr beim Gottesdienst gesehen. Ebenso wie Hermann Schuster. Der Sachse konnte das Vaterunser nicht mehr beten. »Unser tägliches Brot gib uns heute«, das brachte er gemeinsam mit dem Wachenwerther nicht mehr über die Lippen. Schuster Hermann ist leider kurz nach der
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