Wie die Madonna auf den Mond kam
Verrat auch beim Polen, der lieber auf den Papst und diese Schwarze Madonna hörte als auf Lenin. Die Tschechoslowaken waren auch nicht besser, und die Bulgaren schon gar nicht. Nichts Bruderländer! Judasstaaten im Dienste des Kapitals. Nun ja, man habe einiges im Land zu verbessern. Aber das teure Öl war schuld, das man in der Sowjetunion bestellen musste. Die fehlenden Mastschweine waren auch schuld, mit denen sich der Russe das Erdöl bezahlen ließ. Und der Gorbatschow auch, der mit seiner Glasnostidiotie die Welt ins Chaos stürzte. Natürlich sei die Freiheit im Land auch weiterhin gewährleistet. Jeder sei willkommen, Kubaner, Chinesen und Nordkoreaner. Im Grunde aber, so tobte der Conducator später im Hinterzimmer, würden seine unfähigen Minister Schuld tragen.
»B-b-bringt diese Huhligens zum Schweigen!«, brüllte er seine Generäle an. »Oder ich stell euch an die Wand! «
Elena mischte sich ein, wiegelte ab und besänftigte. »Zuerst rufen wir den Notstand aus. Organisiert eine schöne Kundgebung. Verteilt Fahnen, produziert rote Spruchbänder. Dann wird alles wieder gut.«
Die Funktionäre mussten sich Videofilme aus Peking vom Platz des Himmlischen Friedens anschauen, damit sie endlich kapierten, wie eine resolute Staatsmacht Aufständische zur Räson brachte. Der Präsident ließ einen heißen Draht schalten. Blitzkonferenz mit allen Bezirkssekretären im ganzen Land. Alle sagten zu, Benzin zu organisieren und sämtliche noch fahrtaugliche Busse mit bewährten Kollektivisten zum Jubeln in die Hauptstadt zu schicken.
Nur einer nicht.
In Kronauburg war Doktor Stefan Stephanescus Telefon ständig besetzt. Später würden die Chronisten schreiben, er habe in diesen Stunden wichtige Leute für eine Rettungsfront der Nationalen Wiedergeburt zusammengetrommelt.
21. Dezember 1989: Rote Fahnen, rote Spruchbänder, ewiger Dank, so weit das Auge blickte. Im Paris des Ostens hielten Zehntausende Pappschilder in die Höhe, Bilder vom König, Bilder von der Königin, wenngleich aus sichtlich jüngeren Jahren. Die Massen gelobten Treue zur Nation, Treue zur Partei, Treue auf immer zum Conducator.
Imre, Petre und ich saßen noch immer vor Drinas Fernseher.
Wir trauten unseren Augen nicht. Was hatten die von Radio Freies Europa erzählt? Aufstand! Revolte! Umsturz! Ja, wo denn?
22. Dezember 1989: Immer mehr Menschen strömten in die Hauptstadt. Ohne Fahnen. Ohne Transparente. Ohne Plakate. Ein endloses Meer aus dunklen Gesichtern, entschlossen zu irgendetwas, aber noch abwartend. Die Fernsehkameras zeigten, wie die ersten Fäuste gegen die Pforten des Gebäudes vom Zentralkomitee hämmerten. Dann schwenkte die Kamera auf den Balkon. Der Conducator erschien. Trat ans Mikrofon. Ohne Zepter. Schwarzes Jackett, weißes Hemd, dunkle, gemusterte Krawatte mit Punkten, die aussahen wie kleine Sonnen. Als er den Mund öffnete, brach der Volkszorn los, aufgebrachtes Geschrei, gellende Pfiffe. Der Staatschef hob beide Hände, hilflos, verschüchtert. Doppelten Lohn, dreifachen Lohn! Sollt ihr haben! Höhere Renten, mehr Kindergeld auch. Genug zu essen. Wärmere Wohnungen. Würde alles in die Wege geleitet. Der Conducator mutierte zurück zu einem steinalten Jungen, der verspricht, alles wiedergutzumachen, ohne zu wissen, was er falsch gemacht hatte. Niemand hörte ihn. Die Lautsprecher waren laut, doch das Volk war lauter. Es tobte, buhte, brüllte, ein tosender Orkan der Wut. Kreuzigt ihn! Kreuzigt ihn! Bei den Verantwortlichen vom Fernsehen regierte die Furcht. Durften sie das zeigen? Der letzte Lichtstrahl des sterbenden Sterns war immer noch unterwegs, könnte noch immer jemanden verbrennen. Dann hörten wir nichts mehr. Die Fernsehleute hatten den Ton abgeschaltet.
Als um die Mittagsstunde ein Helikopter vom Dach des Gebäudes abhob, in dem das Zentralkomitee seinen Sitz hatte, blieben die Bildschirme schwarz.
Wir schalteten Drina Kiselevs Radio an, fanden Freies Europa. Der Sender meldete, der Diktator und seine Gattin seien geflohen. Doch Petre und ich waren wie der ungläubige Thomas, wir wollten sehen, nicht hören. Wir warteten, bis am Nachmittag wieder bewegte Bilder über die Mattscheibe flimmerten.
An einem langen Tisch im alten Königspalais saßen die Anführer der Revolution. Voiculescu, Roman, Brucan, Mazilu. Ein paar Generäle auch, Militärs, die umgeschwenkt waren auf die Seite des Volkes. Außer dem Namen Iliescu, Träger des Hammer-und-Sichel-Ordens erster Klasse, hatte ich ihre Namen nie
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