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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Revolution gestorben. Genau wie Istvan Kallay. Ich hätte den beiden gewünscht, sie hätten die Zeit der Freiheit noch erleben dürfen.
    Der Rote Riese fiel in sich zusammen, jedoch nicht mit einer gewaltigen und krachenden Implosion, er verglühte lautlos, so langsam, dass wir in B aia Luna den Untergang des Gol denen Zeitalters zunächst gar nicht bemerkten. Der Glanz des Mannes, der selbst der Sonne trotzte, erkaltete zu einem toten Stern, dessen letzte Strahlen noch lange irrlichterten, obwohl man allenthalben verkündete, sie seien an einer Wand im Hof einer Militärkaserne vor einem Exekutionskommando für immer erloschen.
    »Da passiert etwas. Ich bin sicher, da ist was los«, Petre Petrov wandte sich aufgeregt an Istvan Kallays Sohn Imre und mich. »Versucht ihr mal. «
    Seit Stunden kauerten wir vor dem Radio, drehten am Knopf für die Senderwahl, doch immer wieder riss der Empfang von Radio Freies Europa ab.
    »Störsender«, schätzte Imre. »Die wollen nicht, dass wir mitkriegen, was im Land vor sich geht.«
    Nur so viel haben wir drei erfahren: In der Stadt Temeschburg wurde gekämpft. Es gab einen Aufstand. Imre fand endlich einen Rundfunksender aus Ungarn. Den Nachrichten zufolge waren Armeesoldaten und Kampftruppen der Sekurität mit Panzerwagen aus der Hauptstadt in das Banat im Westen des Landes befehligt worden, um die Revolte mit Tränengas und Wasserwerfern, Schilden und Schlagstöcken niederzuprügeln. Der reformierte Priester Laszlo Tökes hatte den Aufruhr ins Rollen gebracht, mit mutigen Predigten, denen seine täglich wachsende Zuhörerschar nur eine Botschaft entnahm: Der Conducator musste weg. Offenbar war der eigene Dienstherr und Bischof Tökes in den Rücken gefallen und hatte auf Druck der Sekurität dessen Zwangsversetzung in die Provinz befohlen, in ein Dorf, das auf keiner Landkarte Transmontaniens verzeichnet war.
    Doch die Leute machten nicht mit. Sie stellten sich vor ihren Pfarrer. Immer machtvoller wurden die Demonstrationen. Die Arbeiter weigerten sich, in ihren volkseigenen Betrieben noch einen Finger zu krümmen, si e riefen zum Streik auf, strömt en zusammen und skandierten: »Freiheit! Freiheit! Nieder mit dem Titanen! Tod dem Kommunismus!« Sie schwenkten Flaggen Transmontaniens. In der Mitte klafften Löcher. Das Landesemblem mit dem roten Stern war herausgeschnitten.
    Dann die ersten Schüsse. Das erste Blut. Die ersten Toten.
    Aufseiten der Aufständischen.
    Wir gingen zu den Kiselev-Zwillingen, hockten in ihrem Wohnzimmer vor dem Fernseher, Petre Petrov, Imre Kallay, Andreas Schuster und ich. Drina entschuldigte sich, dass sie uns keine Kekse anbieten konnte. Der Conducator trat vor die Kameras des staatlichen Fernsehens. Seine Gattin Elena zupfte ihm die Krawatte zurecht. Wenn man der späteren Aussage eines Leibwächters trauen durfte, so herrschte sie ihn an: »Verplappere dich nicht wieder.« Der Conducator sprach. Noch hörte das Volk ihm zu. Es war der Abend des 20. Dezember 1989.
    »Huhligens«, sagte er, »Huhligens sind schuld! Sie werfen Steine in Schaufenster, verbrennen schöne Autos und wollen unser Goldenes Zeitalter kaputtmachen.«
    »Huhligens? Kenn ich nicht«, meinte Petre. Auch ich wusste nicht, von was für Leuten der Staatschef redete. Dann erfuhren wir, wer noch alles Schuld trug, dass Ruhe und Ordnung im Land bedroht waren. Reaktionäre Krawallmacher in Diensten des kapitalistischen Imperialismus waren schuld. Notorische Störenfriede waren schuld, die sich mit gefälschten Devisen aus den Brieftaschen westlicher Geheimdienste hatten kaufen lassen. Bezahlt von Spionen aus England, aus Frankreich, aus Amerika, womöglich sogar aus Russland. Nur auf die chinesische Führung war noch Verlass. Die hielt die Fahnen hoch. Arbeitsscheue waren auch schuld. Faules Pack. Vorneweg die Zigeuner. Undankbares Volk, obwohl sie so hübsche Häuser bekommen hatten. Sie schlichen hinter den Huhligens her, lauerten, bis die Terroristen Steine in Fensterscheiben schmissen, dann plünderten sie die volkseigenen Juweliergeschäfte. Und wer hatte sie aufgestachelt? Wer hatte alles angezettelt?
    Budapest! Die Ungarn steckten dahinter, steuerten die Revolte, nachdem sie den eigenen Sozialismus verraten hatten und sich nun halb Transmontanien unter den Nagel reißen wollten. Verräter auch die Demokratischdeutschen, die ihm gerade noch den goldenen Karl-Marx-Orden verliehen und versprochen hatten, weder Ochse noch Esel könnten sie aufhalten auf dem Weg zum Weltniveau.

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