Wie die Madonna auf den Mond kam
ich hier.« Während die Schüsse durch die Hauptstadt hallten, blieben Fritz Hofmanns Fotoapparate in seiner Tasche. Bis zum Morgen des Heiligen Abends saßen wir in seinem Hotelzimmer. Fritz hörte zu, erzählte und überraschte mich mit einer freimütigen Offenheit, die ich nicht erwartet hatte.
»Nun bist du also Fotograf geworden. So wie dein Vater.« »Ja. Wie mein Vater. Mit einem Unterschied. Er fotografierte die Mächtigen, weil er dazugehören wollte. Ich mache Bilder, weil ich weiß, dass ich nirgends dazugehören werde.«
»Wie meinst du das?«
»Du hast vor langer Zeit einen Satz zu mir gesagt, von dem ich damals nicht ahnte, wie wahr er für mich werden würde. Erinnerst du dich an die Nacht, bevor ich das Ewige Licht ausgeblasen habe? Du sagtest, ich müsse für mein Fortgehen aus Baia Luna einen Preis bezahlen. Damit hattest du recht.«
»Habe ich das wirklich gesagt? Es ist schon so lange her.« »Für mich nicht, obwohl ich nach über dreißig Jahren zum ersten Mal wieder im Land bin. Als ich mit meiner Mutter nach Deutschland gezogen bin, war ich mir sicher, dass ich Baia Luna schnell vergessen würde. Wahrscheinlich wäre mir das auch gelungen, hätte ich im Frühjahr nach meinem Umzug nicht diesen Brief von Julia erhalten.«
»Von unserer Schulkameradin Julia Simenov?«
»Ja. Sie teilte mir mit, man habe die Lehrerin Barbulescu während der Weihnachtsprozession oben auf dem Mondberg gefunden. Julia hat mir heftige Vorwürfe gemacht. Sie schrieb, ich hätte die Barbu mit meiner Dreistigkeit in den Tod getrieben, als ich den Satz mit dem Ofenrohr an die Schultafel geschrieben habe. Das Schlimmste war damals, dass die Barbu nicht zum Stock gegriffen hat. Ich wünschte, sie hätte mich verprügelt. Schläge haben mir nie viel ausgemacht. Aber als sie an der Tafel stand und heulte, musste ich nur noch weg. Ich habe ihren Anblick nicht ausgehalten. Erinnerst du dich noch, wie wir den betrunkenen Zigeuner dann nachts am Geburtstag deines Großvaters nach Hause gebracht haben? Mir war sofort aufgefallen, dass in Barbus Haus kein Licht brannte, und ich konnte mir an fünf Fingern abzählen, dass sie sich was angetan hatte. Ist doch egal, habe ich mir gesagt. Immer wieder:
Ist doch egal. Sie war nur eine heruntergekommene Säuferin. Und dann habe ich in der Kirche das Licht ausgepustet. Um zu beweisen, wie egal alles ist. Ich war einfach nur dumm. Und dann schreibt mir Julia, es sei meine Schuld, dass die Lehrerin zum Strick gegriffen hat. Pavel, ich wollte der Barbu nicht wehtun. Es war ein Spiel, so wie unsere Fantasiezahlen, die wir im Unterricht in unsere Hefte geschrieben haben. Ich wollte sehen, wie weit ich gehen kann, aber ich wollte doch nicht, dass sie sich wegen mir etwas antut.«
Ich schwieg, als Zeichen des Verständnisses.
»Glaub mir, ich habe in den vergangenen zwanzig Jahren als Fotograf die halbe Welt gesehen. Immer nur den Dreck. Wirklich sehr, sehr schlimme Sachen. Wenn es irgendwo brennt, muss ich hin. Es ist wie ein Zwang. Das ist der Preis, den ich bezahle. Ich halte es nirgends lange aus. Aber ich wollte als Fotograf zeigen, was Menschen anderen Menschen antun können. Nicht, weil ich so edel bin. Alles Schöne ist für mich langweilig, öde. Wirklich ist nur der Krieg, die Katastrophe, der Hunger, das Leid und der Schmerz. Wenn ich den Schmerz der anderen sehe, fühle ich mich lebendig.«
»Das ist ein gefährliches Leben«, sagte ich verlegen.
Fritz zögerte, bevor er erwiderte: »Von außen betrachtet, vielleicht. Aber für mich ist die Ruhe unerträglich. Die Heimatlosigkeit ist meine Heimat geworden. Doch ich bin müde, Pavel. Immer unterwegs und nie da. Um Bilder von den Gräueln der Welt zu fotografieren, nur damit ich dieses eine Bild aus Baia Luna nicht sehe. Als könnte ich ein furchtbares Bild durch noch schrecklichere Bilder beiseite schieben. Aber es gelingt mir nicht. Barbu taucht immer wieder auf wie aus einem schwarzen Wasser. Oft monatelang gar nicht. Doch dann sehe ich wieder, wie sie sich allein den Mondberg hinaufschleppt. Bevor sie sich den Strick um den Hals legt, sagt sie: >Fritz, du bist wie dein Vater.< Pavel, als du eben im Hotelflur auf mich zukamst, habe ich mich wirklich gefreut, bis die Barbu plötzlich hinter dir auftauchte. Sie stand hinten an der Wand in der Klasse, und ich saß wieder neben dir auf der Schulbank. Und ich schrieb die Parteigedichte um. Von diesem ... «
»Margul-Sperber! «
»Genau! Alfred Margul-Sperber. Hymne an die
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