Wie die Madonna auf den Mond kam
Stephanescu, sind Sie ein gläubiger Mensch?«
»Oh ja, ich glaube. Sonst würden wir hier nicht sitzen. Mein ganzes Volk hat in tiefstem Grunde nie seinen Glauben verloren. Obwohl der Conducator einst die erste atheistische Nation ausrief, blieben wir doch in der Seele Gläubige. Nicht alle natürlich. Manchen fehlte der Respekt vor dem Leben. Aber fahren Sie mal nach Kronauburg. Als die jüngsten Aufstände von Temeschburg auch auf meine Stadt übergriffen, war Schlimmstes zu befürchten. Fragen Sie die Menschen, wie viele Tote die Sekurität in meinem Bezirk auf dem Gewissen hat, als die Aufständischen die Zentrale der Staatssicherheit stürmten. Keinen Einzigen, das garantiere ich Ihnen. Auf meinen Befehl hin fiel kein einziger Schuss. Dazu noch eine Vertraulichkeit: Sie müssen wissen, es gab Kräfte im Land, die wollten dem Volk seinen Gott nehmen. Kirchen zu Kultursälen, Parteiparolen statt Gebete. Stirbt der Glaube, stirbt die Gemeinschaft. Ich habe mich immer dagegen verwahrt. Lasst dem Volk die Kirchen. Das war mein Motto. Ich wünschte, ich hätte mich durchsetzen können. Es gab da einen einflussreichen Sekuristen in Kronauburg, der ließ die Kirchen leer räumen. Sakrale Schätze, Ikonen, Heiligen figuren, Madonnen. Ich sage Ihnen, ich bin nicht feige, aber ich habe diesen Mann gefürchtet. Behalten Sie das bitte für sich, er heißt General Raducanu, und ich weiß nicht, ob er jetzt in dieser Stunde aufseiten der Revolution oder des Verrates steht. Mein Rat nur: Hüten Sie sich vor ihm. Jedenfalls ließ Raducanu den wertvollsten Teil der Antiquitäten über polnische Kanäle in den kapitalistischen Kunstmarkt schleusen. Wegen der Devisen. Das unverkäufliche Zeug verstaubt in den Kellern der Sicherheit. Die fromme Volksseele zu verletzten, war ein Fehler. Aber ich garantiere, die Leute werden ihre Madonnen und Heiligen zurückbekommen. Und die Kirchen werden wieder voll.«
Fritz und ich schwiegen.
»Was wollen Sie sonst noch alles wissen? Ach ja, ehe ich's vergesse, das mit dem Interviewhonorar sollten wir besser anders regeln. Wenn das an die Öffentlichkeit kommt, kann das vom einfachen Volk als falsches Signal verstanden werden. Ich denke, ich spende die restlichen fünfzehnhundert. Einem Waisenhaus. Oder Revolutionswitwen. Was meinen Sie, Herr Hofmann?« Stephanescu stutzte beim Aussprechen des Namens. Er geriet ins Schlingern. »Sie, Sie könnten ... könnten Sie nicht ein Foto von der Geldübergabe knipsen? Wieso, weshalb machen Sie sich eigentlich keine Gesprächsnotizen ? Wo ist Ihr Aufzeichnungsgerät?«
Ich wischte mir den Schweiß meiner Handfläche an meiner Hose ab. Fritz blieb gelassen.
»Gute Idee. So ein Foto im Waisenhaus. Ich verspreche Ihnen, Sie werden auf dem Bild genauso blendend aussehen wie damals auf Ihrem Porträt in dem Schaufenster in diesem Kronauburger Fotostudio. Heinrich Hofmann machte doch ganz anständige Bilder. Jedenfalls erfüllten sie ihren Zweck.«
Stephanescus Gesichtszüge erstarrten zu Eis. Fahrig zerdrückte er die angebrannte Carpati im Aschenbecher. »Sie sind nicht vom Time-Magazin! Wer sind Sie? Zeigen Sie mir Ihre Papiere.«
Fritz Hofmann warf einen grünen Reisepass auf den Tisch. »Sie sind Deutscher!« Stephanescu klappte den Ausweis auf. »Geburtsort Baia Luna. Sie, Sie sind Heinrichs Sohn. Fritz Hofmann! Was willst du von mir?«
»Warum musst e mein Vater Heinrich sterben?«
Stephanescu rang um seine Fassung. »Du hast mich belogen! Die ganze Zeit! Mir den Journalisten vorzuspielen. Dein Vater, das sage ich dir, er war mein Freund. Aber du, du enttäuschst mich tief. Weißt du was? Wir machen die Sache kurz. Unser Gespräch ist beendet. Ihr verschwindet einfach. Oder ich lasse euch von der Miliz verhaften.«
»Das werden Sie nicht tun.« Erstmals ergriff ich das Wort. »Wir werden jetzt von den Toten reden. Warum musste der Priester Johannes B aptiste aus Baia Luna sterben?«
Stephanescu schob sein Cognacglas von sich. »Ein Pfarrer musste sterben? Ein Johannes Baptiste. Tut mir leid, aber der Name sagt mir nichts.«
»Okay«, lächelte Fritz, »wenn Ihnen dieser Name nichts sagt, dann werden Sie nicht erfahren, warum unsere nette Kollegin Angelique heute Morgen nicht neben Ihnen im Bett lag und weshalb Sie heute Nachmittag nicht zum Premierminister ernannt werden. Es ist vorbei, Herr Doktor. Nur wissen Sie es noch nicht. Doch wir vertrauen auf Ihre Neugierde. «
Als Stephanescu hustete und einen Brechreiz unterdrückte, wusste ich,
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