Wie die Madonna auf den Mond kam
Hand ging. Gemeinsam hievten sie den Kasten auf die Theke. Dimitru hechelte atemlos und sackte unter den neugierigen Blicken der Gäste auf einen Stuhl. Dann sprach er mit feierlicher Stimme: »Beim seligen Buckel des Simon von Cyrene, ich schwöre euch, diese verfluchte Technik bricht einem das Kreuz. Ilja, ein Gläschen.«
Opa schmunzelte und schenkte persönlich ein. Dimitru trank. Alle starrten gespannt auf den verhüllten Kasten. Der Zigeuner erhob sich, tippte Großvater auf die Schulter und forderte ihn auf, sein Geburtstagsgeschenk zu enthüllen. »Für dich. Zu deinem Ehrentag.«
Ilja zierte sich.
»Nun mach schon«, drängte Liviu Brancusi, der sich beleidigt fühlte, weil ausgerechnet ein wirrköpfiger Zigan seiner Propagandarede ein Ende bereitet hatte, jemand, den er für den Aufbau der Neuen Nation für gänzlich unbrauchbar hielt. Großvater trat vor. Vorsichtig zog er die feuchte Decke von dem Kasten. Die Männer erstarrten in Ehrfurcht. Vor ihnen stand ein nagelneues Fernsehgerät.
Es war ein gewaltiger Röhrenapparat mit blank polierter Mattscheibe, edelholzverkleidet, mit elfenbeinfarbigen Knöpfen zum Drücken und Drehen. Sprachlos betrachtete Ilja den Fernseher. Tränen des Glücks rannen über seine Wangen.
So eine luxuriöse Gerätschaft haben noch nicht einmal die Hofmanns, schoss es mir durch den Kopf. Den Fernseher musste ich Fritz zeigen. Unbedingt. Der würde staunen. Ich rannte los. Fritz ließ sich nicht lange bitten. »Will ich sehen«, sagte er.
Als wir zurückkehrten, stand Großvater noch immer stumm vor dem wuchtigen Guckkasten, dann drückte er zaghaft einen der Knöpfe. Nichts geschah.
»Strom«, sagte Dimitru, »er braucht elektrischen Strom.« »Hier«, rief der junge Petre Petrov. Unter dem Regal mit den eingelegten Gurken hatte er eine Steckdose entdeckt. Petre rückte einen Holzschemel vor das Regal. Vorsichtig hievten Karl Koch und Alexandru Kiselev das schwere Gerät auf den Schemel, während Petre das Stromkabel in die Steckdose schob.
»Mach du den Apparat an«, wandte sich Großvater an Dimitru. Der Zigeuner stellte sein Glas ab und postierte sich vor dem Fernseher, während sich die Männer im Halbkreis um die neue Errungenschaft drängten.
»Nun gut«, sprach Dimitru, hob mit theatralischer Geste seinen rechten Zeigefinger und senkte ihn langs am herab auf den Einschaltknopf. Es knackte. Nach einer Weile flackerten winzige Blitze in dem Glasröhrchen unterhalb des Bildschirms auf, bis ein grün schimmerndes Lämpchen aufleuchtete. »Das«, hob der Zigeuner weihevoll an, »ist das magische Auge.«
Zugleich hellte die Mattscheibe auf, auf der Millionen kleinster Lichtpunkte wie Schneekristalle flimmerten, unterbrochen nur von einem schwarzen Balken, der unablässig von oben nach unten durch das Bild lief. Aus dem Lautsprecher drang ein sanftes Rauschen, das stetig anschwoll und sich zu einem furzenden und ohrenschmerzenden Knattern verstärkte. Petre Petrov drehte den Lautstärkeregier herunter.
»Wir müssen einen Sender finden«, sagte er.
Dimitru nickte anerkennend. »Jawohl, ohne Sender kein Empfang. Und ohne Empfang kein Bild.«
Petre drehte eine Zeit lang an allen möglichen Knöpfen, doch es wollte partout kein Bild erscheinen. »Die Antenne! Dimitru, wo ist die Antenne?«
»Oh Scheiße!« Der Zigeuner schlug sich die Faust gegen die Stirn. »Katastrophe, Katastrophe. Mein Vetter Salman, dieser Hohlkopf. Zehnmal, nein zwanzigmal habe ich ihm gesagt: >Vergiss bloß diese dämliche Antenne nicht, wenn du den Fernseher organisierst.< Und was macht Salm an ? Er vergisst sie. Möge die Sintflut über ihn kommen, über diesen Volltrottel von Idiot. Wie spät ist es?«
»Kurz vor fünf«, antwortete Petre Petrov.
»Oh du heilige Kacke! Um fünf, um Punkt fünf werdet ihr sehen, dass euer schwarzer Philosoph Dimitru kein ignoranter Schlauschwätzer ist. Sputnik, sage ich euch. Der Staatssender sendet eine Sendung über den Sputnik. Schlag fünf. Nein, oh nein«, stöhnte der Zigan. Dabei drückte er sämtliche Knöpfe, drehte, kurbelte und schlug mit der Faust auf die Kiste. »Madonna, hilf«, schrie er. »Gleich fünf und kein Bild. Mein Cousin, dieser Idiot, dieses Arschgesicht an Blödigkeit.«
»Du sollst nicht fluchen!« Alle schauten zur Tür. Mit schleppendem Schritt, in der einen Hand seinen Krückstock, in der anderen ein in braunes Papier gewickeltes Geschenkpäckchen, trat Johannes Baptiste ein. Sofort boten die Männer ihm einen Stuhl an. Der
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