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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Pfarrer überreichte Großvater sein Präsent und setzte sich. Dann hob er seine Hand wie zum Segen. »Ich bitte um ein Glas Wasser. Und ihr Brüder, lasst euch in eurem Tun nicht stören.«
    Dimitru bekreuzigte sich. »Verzeih, Papa Baptiste.« Der Zigeuner ergriff die Hand des Priesters, schmatzte sie mit seinen feuchten Lippen ab und stammelte: »Papa Baptiste, helfen Sie. Sie können doch kraft ihrer geweihten Hände die Tücken der Technik aus diesem Kasten austreiben. Ein Segenswort nur, ein Stoßgebet, ein Spritzerchen geheiligtes Wasser.«
    Bevor Johannes Baptiste antworten konnte, rief jemand: »Vergesst das scheinheilige Brimborium. Nehmt Draht.«
    Alle merkten auf und schauten überrascht zu dem Urheber dieser Worte: Fritz Hofmann. Ein Schuljunge! Ein schnöseliger Fotografensahn! Was hatte der zu sagen im Kreis erwachsener Männer?
    »Nehmt ein Stück Zaun draht als Antenne. Das funktioniert.«
    Die Männer waren sprachlos, nur Pater Johannes bemerkte: »Der Bursche hat recht.« Ich verschwand mit Hermann Schuster im Vorratslager, wo wir von einer Rolle einige Meter Stacheldraht abknappten. Ich zog den Draht durch einen offenen Fensterspalt und wickelte das eine Ende draußen um die Dachrinne, während Schuster das andere Ende in die Antennenbuchse des Fernsehgerätes fummelte.
    Plötzlich erklang aus dem Lautsprecher ein Streichorchester.
    Die Männer applaudierten und klopften sich auf die Schultern. Dimitru strahlte, kniete nieder, küsste den Bildschirm, zuckte dann aber entsetzt zurück.
    »Strom«, rief er und rieb sich verängstigt die Lippen. »Die ganze Kiste ist voll Strom.«
    »Wir nutzen die Kiste als Radio«, bestimmte Petre Petrov. Dimitru beruhigte sich. »Bene bonus. Ein Fernseher mit Ton ist immer noch besser als ein Radio ohne Bild.« Niemand widersprach.
    Es tutete einige Male, dann ertönte ein Gong. »Es ist siebzehn Uhr.« Sodann kündigte eine sonore Männerstimme eine Ansprache des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion an. Bei flimmerndem Bildschirm hörten wir die Stimme Nikita Sergejewitsch Chruschtschows, über die sich die Worte des Übersetzers legten.
    »Von nun an muss die Geschichte der Menschheit neu geschrieben werden. Mit Sputnik hat ein neues Zeitalter begonnen. Und wir haben dieses Zeitalter eingeläutet. Wen interessiert denn noch dieser Fernsehhund Lassie, wo unsere Laika schon hundertmal die Erde umkreist hat. Amerika ist besiegt.«
    Erregt sprang Großvater auf. »Niemals!«
    »Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken«, tönte es aus der Kiste, »hat beim Wettlauf um die Eroberung des Weltalls den entscheidenden Sieg gegen die Imperialmacht der Vereinigten Staaten von Amerika davongetragen. Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken hat die Elite seiner proletarischen Intelligenz aufgeboten, um erstmals in der Geschichte des Menschen die Kräfte der Schwerkraft zu überwinden. Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist der Schöpfer der Zukunft.«
    »Stell den Mist ab«, rief Hermann Schuster, dem das bloße Wort »sozialistisch« die Galle zum Kochen brachte, seitdem er sechs Jahre nach Kriegsende bis auf die Knochen abgemagert aus den Kohlengruben im Donezk in seine transmontanische Heimat zurückgekehrt war.
    »Hört, hört! Proletarische Intelligenz! Schöpfer der Zukunft!
    War immer unsere Rede«, rief Liviu Brancusi.
    »Bislang war kein Volk der Welt in der Lage, Lebewesen aus den gewaltigen Anziehungskräften der Erde herauszukatapultieren. Doch schon bald werden wir nicht bloß Satelliten, sondern unsere Kosmonauten in die Schwerelosigkeit entsenden, um die Fahne der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf dem Mond zu hissen, wo sie zeugen wird von der Leistungsfähigkeit unserer Produktivkräfte. Die Bombenflieger aus Amerika sind schon heute reif für das Museum. Mit der Schubkraft ihrer Raketen können sie gerade ... « Dann knatterte der Lautsprecher.
    Ungeduldig drehte Ilja an dem Knopf für die Senderwahl.
    Doch ständig mischten sich gurgelnde und pfeifende Störgeräusche zwischen einzelne Fetzen der Ansprache, bis das Tonsignal wieder klar wurde.
    »Die braune Koka-Limonade, der Drogenrausch und die schrecklichen Missklänge der Jazz-Musik werden die kapitalistische Bourgeoisie in den Untergang führen. Ihre Jugend vergeudet die Zeit in Kinematheken und zwielichtigen Bars. Sie gebärdet sich animalisch bei unkultivierten Tänzen und tauscht Obszönitäten auf offener Straße. Anstatt die

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