Wie die Madonna auf den Mond kam
ins Gesicht schoss. »Protest? Widerstand? Hier im Dorf? Nein, nein, das kann man so nicht sagen.«
»Das kann man sehr wohl so sagen!« Karl Koch drängte sich nach vorn. »Und das werde ich so sagen. Laut und deutlich.«
Koch blickte Major Raducanu fest in die Augen.
»Nach dem Krieg hat uns dein Vater Aurel in die Bergwerke der Russen geschickt. Dabei habt ihr genauso laut nach dem Führer gebrüllt wie wir. Wir Sachsen haben für euch die Kohlen aus dem Feuer geholt. Als wir zurückkamen, habt ihr uns den Boden genommen, die Häuser, sogar das Wahlrecht, das jedem Bürger zusteht. Wir haben lange dafür gekämpft , zurückzubekommen, was uns gehö rt. Und nun wollt ihr uns wieder enteignen. Ich sage dir eines, du Schnösel! Ich gebe nichts her. Gar nichts! Ihr Bolschewiken kriegt nichts von mir. Nur über meine Leiche.«
Lupu Raducanu blieb ruhig, nickte sogar. »Sie sind ein gradliniger Mann, eine ehrliche Haut, Herr, Herr ... ?«
»Koch«, sagte der Sachse, »Karl Koch.«
Raducanu steckte sich eine neue Kent an. »Unser Land braucht ehrliche Männer. Leute wie Sie, Herr Koch. Leute, die sagen, was sie denken.«
Der Sachse war völlig perplex.
Ich stand etwas abseits und erschrak, als Lupu Raducanu plötzlich einen Arm ausstreckte und mit dem Finger auf unser Geschäft zeigte. »Herr Koch, in diesem Laden gibt es doch sicher Papier und Stifte?«
»Natürlich«, antwortete der verwirrte Sachse. »Was soll die Frage?«
Zur Überraschung von Karl Koch zog Raducanu seine Brieftasche aus dem Mantel und fingerte einen Geldschein heraus. Ehe sich's Koch versah, hatte ihm der Major den Schein in die Jackentasche gesteckt.
»Herr Koch, Sie werden in dieses Geschäft gehen und Schreibzeug kaufen. Dann werden Sie sich in Ihre Stube setzen und alle Namen aufschreiben. Nur die Männer des Dorfes. In zwei Spalten. Links die Namen derer, die den Kolchos wollen, rechts die Namen der Männer, die sich dem Fortschritt verweigern. Ich weiß, Sie sind ein ehrlicher Mann. Sie werden niemanden vergessen. Ich gebe Ihnen drei Tage. Dann will ich die Liste sehen. Wir haben uns verstanden. Drei Tage.«
Raducanu schnippte seine Zigarette von sich. »Einen Dreck werde ich tun, du Milchgesicht.«
Koch rotzte auf Raducanus feinen Schuh und riss das Papiergeld in Fetzen. Der Major grinste, drehte sich weg und stieg in den Wagen.
Der dicke Polizist zog kurz die Schultern hoch, was ich als Geste des Bedauerns deutete, dann startete Cartarescu den Motor. Die Maschine heulte auf, und die Reifen drehten durch. Als sich die Wolke aus qualmendem Diesel auflöste, korrigierte ich einen Irrtum. Ich dachte immer, die Sekurität bringe die Verhörten ins Schwitzen, doch bei Lupu Raducanu wurde mir kalt.
5
Der letzte Tag eines Priesters, die Stille und ein fehlender Sarg
Ich sah Karl Koch zwar mit den Augen eines Jungen, doch nach allem, was ich sah, war mir klar, nie würde der mutige Sachse diese verfluchte Liste schreiben. Es war der 8. November, ein Freitag. Am Montag würde der Major der Sekurität wieder in Baia Luna aufkreuzen und die Liste fordern. Links die Namen derer, die den Kolchos wollten, rechts die Namen derer, die sich der Verstaatlichung ihres Landes widersetzten.
Als der graue Geländewagen in Richtung Kronauburg davonbrauste, schlugen einige Männer dem Deutschstämmigen auf die Schultern und sprachen Karl ihre Anerkennung aus. Für seine deutlichen Worte, für seinen Schneid.
»Milchgesicht! Nicht schlecht«, meinte Istvan, »Speckbacke wäre noch treffender gewesen.«
Soweit ich die Männer einschätzen konnte, würde der Ungar auf der Liste, die Karl Koch bestimmt nicht abliefern würde, rechts stehen. Wie auch die Petrovs und die Deslius. Und natürlich die Scherban-Brüder und Großvater Ilja. Links die drei Brancusis, alle stramme Genossen. Gewiss auch ihr Vater Bogdan, der sein Land sowieso nicht beackerte und verkommen ließ. Links auch der Schmied Simenov. Bei den Konstantins und dem Küster Julius Knaup war ich nicht sicher, genauso wenig bei Alexandru Kiselev. Konnte er sich als künftiger Arbeiter in einem staatlichen Traktorenwerk erlauben, seinen Namen auf der Liste rechts zu sehen? Wo die Sachsen standen, war nicht der Frage wert, außer bei dem Lichtbildner Heinrich Hofmann. Die Zigeuner fielen aus der Liste raus. Da gab es nichts zu kollektivieren.
»Mensch, Karl, bist du verrückt geworden?«
Hermann Schuster stieß die Schulterklopfer zur Seite und wies seinen Landsmann zurecht. »Musstest du
Weitere Kostenlose Bücher