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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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    Ich versuchte, mir vorzustellen, was Karl Koch wohl denken mochte. Was konnte geschehen, wenn er die Namen nicht aufschrieb? Wenn er am Montag einfach in die Wälder ging. Sich versteckte. Für ein paar Tage. Raducanu würde wieder abziehen. Ohne Liste. Doch der Sekurist würde zurückkommen. Irgendwann. Mit zehn oder zwanzig seiner Leute. Sie würden ihn suchen. Und sicher nicht finden. Doch was geschah dann? Mit seiner Frau, mit den Kindern? Wer würde für sie sorgen? Was geschah mit den anderen im Dorf? Würde die Sicherheit sich Kochs Freunde vorknöpfen? Als Helfershelfer eines Staatsfeindes ? Und wenn Karl Koch im Dorf blieb? Sich Raducanu entgegenstellte? Wenn er sagen würde: Du Speckbacke, ich scheiß auf deine Liste. Schreib sie dir selber. Das bedeutete Aiud oder Pitesti. Ich wusste nicht einmal, wo diese Städte lagen, ich wusste jedoch, dass es dort große Zuchthäuser gab. Man sagte, dass jeder, der wieder herauskam, nicht mehr derselbe war. Nach zwei, drei Jahren Kerker würden die Frauen ihre Männer und die Kinder ihre Väter nicht mehr erkennen.
    »Die Konstantin ist irre«, sagte meine Mutter Kathalina am Abendbrottisch. »Die glaubt allen Ernstes, dass der Bocksbeinige nachts durchs Dorf rennt. Manchmal frage ich mich wirklich: Wo bin ich hier eigentlich?«
    »Wer auf Kara hört, dem ist nicht zu helfen. Am besten zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus«, erwiderte Großvater. »Aber merkwürdig ist die Sache mit dem Blut schon. Jeder im Dorf rätselt über die Blutspur vom Altar bis zur Viehtränke. Ich wüsste schon gern, was da nachts los war.«
    Es beruhigte mich, dass niemand auch nur entfernt daran dachte, Fritz und mich mit der Geschichte in Verbindung zu bringen. Seltsamerweise sprach keiner von dem erloschenen Ewigen Licht. Brannte es vielleicht wieder? Hatte Johannes Baptiste es wieder angezündet? Oder der Kirchendiener Knaup? Ich musste nachschauen. Am nächsten Morgen, wenn eine Delegation der Männer den Pfarrer aufsuchte, um zu beraten, wie man aus dem Dilemma um Karl Kochs Liste herauskam, würde ich in die Kirche gehen.
    Obwohl das unscheinbare Flackern des roten Lämpchens am hellen Tage kaum auffiel, sah ich sofort, es brannte nicht. Und niemand hatte es bemerkt. In meiner Tasche steckte eine Schachtel mit Zündhölzern. Ich könnte die Ordnung der Dinge wiederherstellen.
    Ich tat es nicht. Nicht ich, Fritz Hofmann hatte das Licht gelöscht. Und es war dessen Aufgabe, die Angelegenheit wieder ins Reine zu bringen. Sofern das überhaupt möglich war. Sicherlich war der Christengott gnädig, er verzieh jedem Sünder. Einem Lügner, einem Dieb, vielleicht auch einem Mörder. Sofern der aufrichtig bereute. Aber für jemanden, der das Ewige Licht ausblies, war vermutlich nicht viel zu machen. Fritz würde bestraft werden. V ielleicht nicht heute oder mor gen, doch irgendwann würde er für seinen Frevel bezahlen. Andererseits, was wäre, wenn Gott tatsächlich tot war? Wie es dieser Nietzsche behauptete. Dann hätte Fritz Hofmann nichts zu befürchten, denn ein toter Gott kann nicht strafen. Aber konnte Gott tot sein? Konnte Gott überhaupt sterben? Wenn er tot ist, kombinierte ich, dann muss er zuvor lebendig gewesen sein. Wenn er aber einmal lebendig war, dann musste er zugleich allmächtig und unsterblich sein. Weil ein Gott, der nicht allmächtig und unsterblich ist, kein richtiger Gott ist. Der wahre Gott aber konnte wegen seiner Unsterblichkeit selbstverständlich nicht tot sein. Demnach hatte sich der Nietzsche geirrt. Aber war dieser Denker wirklich so beschränkt, dass ich, ein Schankbursche, seine Behauptung vom Tode Gottes mit ein paar logischen Überlegungen aus den Angeln heben konnte? Ich musste herausfinden, was Nietzsche wirklich gemeint hatte. Zugleich konnte ich etwas über Heinrich Hofmann erfahren. Was er glaubte. Wie er dachte.
    Den Fotografenmeister zu fragen, verbot sich von selbst.
    Und Fritz war sowieso für mich gestorben. Unter anderen Umständen hätte ich womöglich den Pfarrer um Rat gebeten. Aber wenn ich Johannes Baptiste nach dem Erlöschen des Ewigen Lichts auch noch mit dem Rätsel vom Tod des Herrgottes kam, würde er mir bis in die Ewigkeit jede Absolution verweigern. Blieb als einzige Möglichkeit nur der Zigeuner Dimitru, der Herrscher über die Bücherei. Vielleicht barg ihr Bestand auch die Schriften des Nietzsche. Wenn ja, hatte Dimitru sie mit Sicherheit studiert.
    Ich verließ die Kirche und machte mich auf zur Bibliothek.
    Der

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