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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Raducanu ein Milchgesicht nennen? Dieser Mann ist gefährlich!«
    »Ich lasse mir von niemandem das Wort verbieten. Ein Milchgesicht ist ein Milchgesicht.«
    »Du hast ja recht«, erwiderte Schuster, »aber es war ein Fehler, Raducanu so zu beschimpfen. Ein ganz dummer Fehler.«
    Hans Schneider mischte sich ein. »Nicht hier auf der Straße. Lasst uns in Ruhe bei Ilja reden.« Einige stimmten zu und zogen ab in die Trinkstube - nur Männer, deren Name auf der rechten Seite der Liste stünde.
    Mir drückte der nächtliche Schrecken um das erloschene Ewige Licht und das rätselhafte Verschwinden von Angela Barbulescu noch immer schwer auf das Gemüt, und ich folgte Großvaters Aufforderung, ihm in der Schenke zu helfen, nur misslaunig. Als ich mich anschickte, eine Flasche Zuika zu öffnen, winkten die Männer ab. Diejenigen, die eben noch Karl Koch zu seinem Widerstand gegen Lupu Raducanu beglückwünscht hatten, gaben kleinlaut zu, dass Kochs offener Protest gegen die Staatssicherheit höchst unklug gewesen war und unabsehbare Folgen zeitigen könnte.
    »Hättest du Raducanu nicht provoziert, wäre ihm die Idee mit der Namensliste nie in den Sinn gekommen.« Der Vorwurf Hermann Schusters war unüberhörbar.
    »Man sollte sich nie mit der Sekurität anlegen. Und mit diesem Lupu schon gar nicht. Das gibt nur Ärger«, merkte halbherzig Alexandru Kiselev an, der in Gedanken schon längst in Stalinstadt Getriebeteile montierte.
    »Weißt du eigentlich, was du getan hast, Karl?«, herrschte Hermann Schuster seinen Freund an. »Die Sekurität zum Feind haben, weißt du, was das heißt? Das heißt Paragraf 166. Widerstand gegen die Staatsgewalt, Bedrohung der nationalen Sicherheit. Dafür gibt es zwei Jahre, fünf Jahre, sieben Jahre. Ab nach Aiud. Oder nach Pitesti. Die machen dich fertig. Ist es das wert, einem Arschloch auf den Schuh zu spucken? Wenn du die Liste schreibst, bekommen wir alle Ärger. Wenn nicht, dann holen sie dich.«
    »Scheiß auf die Liste«, entgegnete der junge Petre. »Ob mit oder ohne, sie werden uns sowieso in den Kolchos zwingen. Wenn nicht heute, dann morgen. Und wenn Karl die Liste nicht schreibt, wird es ein anderer tun. Die Brancusis oder Simenov, was weiß ich. Entscheidend ist, die wollen das Dorf spalten. Wer zerstritten ist, lässt sich besser enteignen.«
    »Ich lasse mich nicht kollektivieren.« Karl Koch donnerte die Faust auf den Tisch. «Und das merkt euch. Ich habe schon einmal auf der falschen Seite gestanden. Nie wieder! Ich war wahnsinnig, als ich in diesen Scheißkrieg gerannt bin. Ich habe mitgebrüllt für diesen Schreihals des Dritten Reiches. Und ich habe Dinge getan, die ein Mensch nicht tun darf! Nie, nie wieder! Ich lasse mich nicht mehr zum Handlanger dieser Verbrecher machen. Egal, ob schwarz, braun oder rot. Nur über meine Leiche.«
    »Ist schon gut, Karl. Wir waren alle dumm.« Hermann Schuster legte seinen Arm um die Schulter des Freundes. »Aber Karl, es geht nicht nur um dich, es geht um uns alle. Um alle, die hier friedlich leben wollen. Auch deine Frau und deine Kinder. Karl, denk an deine Klara, an Franz und Theresa.«
    Karl Koch schwieg.
    »Aber es stimmt. Petre hat recht«, fuhr Hermann Schuster fort. »Raducanu will einen Keil zwischen uns treiben. Das lassen wir nicht zu. Wir brauchen Einigkeit.«
    Die Männer saßen noch eine Weile beisammen, doch bei der Frage, was gegen die drohende Zwietracht im Dorf zu tun sei, kamen sie nicht voran. Fest stand nur, Karl Koch würde keine Namensliste anfertigen. Einen brauchbaren Ratschlag allerdings, wie sich der Sachse verhalten sollte, wenn Lupu Raducanu am Montag auftauchte, gab niemand. Eher hilflos als entschlossen verabredete man, erst einmal die Predigt von Pater Johannes am Sonntag abzuwarten. Dann entschieden die Männer, wegen der Brisanz der Lage den Pfarrer bereits am kommenden Morgen um Rat zu bitten. In der Hoffnung, die Autorität der Geistlichkeit hinter sich zu wissen, schien es ihnen leichter, sich der Macht der Sekurität entgegenzustemmen.
    Ich erschrak, als Karl Koch aufstand, um nach Hause zu gehen. Er schien grau und müde, um Jahre gealtert. Kleiner als gewöhnlich. Plötzlich verstand ich, was Furcht ist. Ohne mich selber fürchten zu müssen, sah ich, was die Furcht anrichtete. Hermann Schusters Appell, Karl solle auch an seine Frau und seine beiden kleinen Kinder denken, hatte die Furcht in ihm geweckt. Ihre Macht lähmte. Diese Macht kam angeschlichen mit der Frage »Was passiert, wenn ...

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