Wie die Madonna auf den Mond kam
Ungehorsam, zum Widerstand, zur Revolte gar?
Von aIl diesen Fragen, von dem ganzen Gerede, erfuhr ich erst später. Ich schlief. Meine Mutter Kathalina und Großvater Ilja ließen mich in Frieden.
Als ich erholt am Freitagmorgen aufwachte, stand mein Entschluss: Nichts würde mich hindern, herauszufinden, was hinter dem Verschwinden der Barbu steckte. Zuvor jedoch musste ich mich von der Last der Verdammnis befreien, die der überhebliche Johannes Baptiste mir aufgebürdet hatte. Der tiefe Groll auf den Alten hatte sich während meines Schlafs gewandelt. Die Hitze der Wut war erkaltet zu klarem Kalkül. Ich wurde zu Unrecht einer schlimmen Tat verdächtigt. Sich am Ewigen Licht zu vergehen, kostete einen Katholiken das Seelenheil. Aber ich hatte diese Tat nicht begangen. Mit Fritz Hofmann wollte ich nie wieder zu tun haben. Ihn jedoch verraten? Auf keinen Fall. Aus meiner Misere heraus gab es nur einen Weg: über das Beichtgeheimnis.
Gegen meine ursprüngliche Absicht, den Priester nie mehr eines Blickes zu würdigen, würde ich bei Johannes Baptiste beichten. Gewiss war es eine schwere Verfehlung, im Beichtstuhl eine Sünde mit Absicht zu verschweigen, doch konnte das Gegenteil verboten sein? Konnte es sündhaft sein, eine Schandtat zu bekennen, die zwar begangen wurde, aber nicht von einem selbst? Waren solche Menschen niederträchtige Lügner? Sünder? Oder nicht eher Märtyrer, Heilige, wie jene ersten Christen, die sich lieber im Kolosseum von Löwen zerfleischen ließen, als die Münze mit dem Bildnis des römischen Kaisers zu küssen? Ich würde gestehen, das Ewige Licht im Zuge einer unerklärlichen Glaubensumnachtung ausgelöscht zu haben. Und ich würde bereuen und Buße tun. Damit wäre der Frevel aus der Welt, der Seelenfrieden wiederhergestellt, ohne dass ich Fritz Hofmann angeschwärzt hatte. Nach der Sonntagsmesse würde ich draußen vor der Sakristei auf Pater Baptiste warten und um das Sakrament der Sündenvergebung nachsuchen.
Am Freitag, dem 8. November, dem zweiten Tag nach Barbus spurlosem Verschwinden, rief man, weniger aus Besorgnis als der Ordnung halber, nach Plutonier Cartarescu aus Apoldasch.
Am Nachmittag fuhr ein grauer Geländewagen mit verschmierten Scheiben und zerbeulter Stoßstange vor der Viehtränke auf dem Dorfplatz vor. Zu aller Verwunderung saßen in dem Wagen außer Cartarescu zwei weitere Männer. Nach dem Plutonier zwängte sich ein uniformierter Polizeibeamter aus Kronauburg aus dem Jeep, ein schwergewichtiger Vollbartträger, dessen grau meliertes und drahtiges Haar wie ein Krähennest unter seiner Schirmmütze hervorlugte. Er zündete sich eine Carpati an und reichte den Männern aus Baia Luna die Hand. Mich und Petre Petrov ignorierte er. Der dritte Mann verharrte noch eine Weile im Fond des Wagens. Zuerst sah ich nur seine blanken schwarzen Schuhe aus der Tür lugen und gewann den Eindruck, als zögere dieses edle Schuhwerk, in den Matsch des Dorfplatzes zu treten. Dann stieg er aus, Major Lupu Raducanu. In Zivil. Sein brauner Mantel war offensichtlich aus besserem Tuch geschneidert und hing lässig von seinen Schultern herab. Eine elegante Erscheinung, die jedoch in befremdlichem Kontrast zu seinen weichen und bartlosen Gesichtszügen stand. Seine pausbäckigen Wangen verliehen ihm eher ein pubertäres, denn ein männliches Aussehen. Lupu Raducanu war Mitte zwanzig und sah für sein Alter deutlich zu jung aus, was ihn für ein hohes Amt bei der Sekurität des Bezirkes Kronauburg nicht gerade prädestiniert erscheinen ließ. Wegen seines teilnahmslos und gelangweilt wirkenden Auftretens hatten einige Kader im vorletzten Herbst seine Beförderung zum Major der Staatssicherheit mit Verärgerung zur Kenntnis genommen, ja, sogar zu blockieren versucht. Die Bedenken verflogen, als sich herumsprach, mit seinen ebenso eigenwilligen wie ausgekochten Verhörmethoden bringe der Sekurist jeden Gegner der Volksrepublik zum Reden. Oder, wie Karl Koch munkelte, bisweilen auch zum Schweigen. Niemand in Baia Luna wusste Genaueres, nur so viel, dass es besser war, mit der Sekurität im Allgemeinen und mit Lupu Raducanu im Besonderen nichts zu tun zu haben.
Raducanu schaute sich um, unbewegt, doch mit flackernden Augen, die nicht zur Ruhe kamen. Ich sah, wie die Männer, die eben noch jovial Cartarescu und den dicken Polizisten begrüßt hatten, ihre Arme vor der Brust verschränkten. Die Frauen sprachen nur leise. Verunsichert von der beklemmenden Stimmung verstummte auch das
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