Wie die Madonna auf den Mond kam
Winter stand bevor, eine gute Zeit, um zu lesen, was ich sonst nie tat.
Hätte es bereits in der Nacht zum Samstag geschneit, so wären den vier Männern, die sich am Morgen auf dem Dorfplatz trafen, um Pater Johannes aufzusuchen, die fremden Fußspuren auf dem Weg zum Pfarrhaus aufgefallen. Aber der erste Schneefall des Winters' 57 setzte erst um die Mittagszeit ein. Karl Koch, Petre Petrov und der Ungar Kallay standen vor der Tür des Pastorates, während Hermann Schuster den Klingelknopf drückte. Die Haushälterin Fernanda würde ein Einsehen haben. Zwar hatte sie in den vergangenen Tagen jeden Besuch von ihrem Johannes ferngehalten, der unter keinen Umständen in der Vorbereitung seiner Sonntagspredigt gestört werden wollte, doch die Männer waren fest entschlossen, sich nicht abweisen zu lassen. Sie brauchten den Rat des Seelsorgers dringender als je zuvor.
»Ich will zu Dimitru, in die Bücherei«, erklärte ich, um gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, ich wolle mich in die Geschäfte der Erwachsenen einmischen.
»Vergiss die Bücherei. Niemand öffnet«, sagte Petre. »Wir läuten schon die ganze Zeit.« Karl Koch schlug mit den Fäusten gegen das schwere Türholz. Hermann Schuster riet, nach dem Eisenschmied Simenov zu rufen, der jedes Schloss knackte, als Dimitru auf das Pfarrhaus zu schlurfte, unterwegs zur Bibliothek.
»Oh! Ihr hier? Selig, die suchen das weise Wort, denn ... « »Es macht keiner auf«, sagte Karl Koch. »Da stimmt etwas nicht.«
Dimitru zog einen Schlüssel hervor. »Habt ihr geläutet?« »Hältst du uns für blöd?«, schnauzte Petre. »Eine halbe Ewigkeit läuten wir schon.«
»Dann stimmt etwas nicht.« Dimitru sperrte die Tür auf. Im unteren Geschoss und in der Bücherei war alles ruhig.
Die Männer stiegen, der Zigeuner voran, die Treppe hoch und fanden die Tür zu Johannes Baptistes privater Wohnung nur angelehnt. Als sie nach ihm und Fernanda riefen und keine Antwort erhielten, folgte ich den Männern. Keiner achtete auf mich. Hermann Schuster stieß gegen die Tür und traf auf kräftigen Widerstand. »Der Teppich klemmt«, meinte er, worauf alle gemeinsam gegen die Tür drückten. Sie schoben etwas Schweres zur Seite. Fernanda. Sie lag in dem Garderobenflur, in ihrer weißen Kittelschürze, ohne sichtbare Zeichen einer Verletzung. Karl Koch kniete nieder und fühlte ihren Puls. Die Haushälterin war steif und kalt.
Mit einem Schlag war klar, die Männer würden den Pfarrer niemals mehr um Rat bitten können. Er würde nie mehr predigen. Auf das Schlimmste gefasst, gingen sie zuerst in die Wohnstube, und als sie Johannes Baptiste dort nicht fanden, weiter in sein Studierzimmer. Ich hatte mich im Hintergrund gehalten, bis sie eine Stätte der Verwüstung betraten. Bücher waren aus den Regalen, Schubladen aus den Schränken gerissen. Die Schreibmaschine lag zertrümmert am Boden, der Teppich war übersät mit Blättern und Zetteln. Und mitten darin saß Johannes Baptiste auf seinem Schreibstuhl. Nicht, dass der Pfarrer tot war, entsetzte, es war die Art, wie man ihn zu Tode gebracht hatte. Johannes saß da, nackt, die Hände gebunden, sein Haupt gesenkt, das Kinn auf der blutbefleckten Brust. Als Karl Koch behutsam den Kopf anhob, klaffte eine grässliche Wunde auf. Man hatte dem Priester die Kehle durchgeschni tten.
Dimitru schaute nur entgeistert, dann sprang er zur Tür.
Immer und immer wieder hämmerte er den Kopf gegen die Türpfosten. Stumm.
Die anderen Männer rieben sich die trockenen Tränen aus dem Gesicht. Niemand sprach. Alle Worte waren tot, gestorben, noch bevor sie gedacht wurden.
»Was ist das? «, fragte Petre leise. Er zeigte auf etwas, das aussah wie ein Stück grauer Bindfaden.
Die Männer schauten sich fassungslos an. Der Faden hing aus dem Mund des Priesters.
»Ein Schnürsenkel«, wagte es Hermann Schuster auszusprechen. »Warum ist da ein Schnürsenkel?«
Als Karl Koch zaghaft den grauen Faden anfasste, fühlte er, dass es kein Schuhband war. Hermann Schuster nickte ihm zu.
Karl zog. Zwischen seinen Fingern hing an ihrem Schwanz eine tote Maus.
»Wer macht so was? «, flüsterte Istvan Kallay und drückte sich die Augäpfel in die Höhlen.
»Das hier ist nichts für dich.« Hermann Schuster nahm mich in den Arm, um mich aus dem Studierzimmer zu drängen. Ich stand wie angewurzelt, so fest, dass es dem Sachsen nicht gelang, mich auch nur eine Handbreit zu bewegen. Versteinert verharrte ich vor dem alten nackten Mann auf dem
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