Wie die Madonna auf den Mond kam
Sie ihm eine Schachtel Carpati mit und richten Sie ihm schöne Grüße von Paulinchen aus. So nennt er mich immer.« Paula Petrin reichte uns die Hand. »Ich wünsche Ihnen viel Glück. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie Licht in diese dunkle Geschichte gebracht haben.«
Es dämmerte bereits, und die Straßenlampen flackerten auf, als wir zehn Minuten später die Bezirkswache der Kronauburger Polizei betraten. Istvan grüßte einen der Sergeanten, der ihn nach der Ermordung von Pater Johannes in Baia Luna nach Wertgegenständen im Pfarrhaus befragt hatte.
»Ah, seltener Besuch aus den Bergen. Habt ihr eine Meldung zu machen?« Der Beamte ga b sich wie ein alter Bekannter.
»Wir wollen zu Kommissar Patrascu.«
»Da kommt ihr zu spät. Der Chef ist seit gestern weg. Ich meine, der ehemalige Chef. Nach fünfundvierzig Dienstjahren endlich in Pension. Aber eure Meldung könnt ihr auch bei mir machen.«
Istvan druckste herum. »Wir hatten in der Stadt zu tun und dachten, fragen wir mal nach, ob es neue Erkenntnisse über das Verschwinden unserer Lehrerin Fräulein Barbulescu gibt.«
»Und ich dachte schon, ihr wärt wegen dieser schlimmen Geschichte mit eurem Pfarrer gekommen. Wir sind dran an dem Fall, das kann ich euch versichern. Und nun soll auch noch eure Lehrerin verschwunden sein? Davon weiß ich nichts.« Der Volkspolizist wandte sich zu seinen Kollegen. »Habt ihr irgendeine Ahnung von einer vermissten Lehrerin? Oben in Baia Luna. Eine gewisse Barbulescu.«
Der Beamte erntete nur ein Kopfschütteln, bis einer der Kollegen sagte: »Patrascu war doch letzte Woche zweimal in den Bergen. Vielleicht weiß der was über eine Lehrerin.«
»Ihr seht«, wandte sich der Polizist wieder an uns, »ein solcher Vorfall ist hier nicht angezeigt. Was glaubt ihr, wie viele Leute verschwinden und wieder auftauchen? Da können wir wirklich nicht hinter jedem hersuchen. Aber wenn ihr den Alten fragen wollt, kein Problem. Er wohnt oben am Burgberg, Alte Schanzgasse, ein gelbes Haus mit blauen Fensterläden, nicht zu verfehlen. Bringt ihm eine Schachtel Carpati mit, und er ist zufrieden. Und bestellt Grüße von seinen Kollegen.«
Auf dem Marktplatz gegenüber der Polizeiwache sprang uns die erleuchtete Fensterfront eines Geschäftes ins Auge, das ob der blendend weiß verputzten Fassade erst vor Kurzem eröffnet worden sein konnte. Über dem gläsernen Eingang prangte ein riesiges Schriftbanner, auf dem in roten Lettern »Dank der Republik, Dank der Partei« zu lesen war. Darunter stand etwas vom unaufhaltsamen Fortschritt des Sozialismus und vom Volkskonsum auf Weltniveau. Petre schlug vor, einen Abstecher in den neuen Laden zu machen, um für Patrascu Zigaretten zu kaufen.
Als ich den doppeltürigen Eingang durchschritt, glaubte ich, meinen Augen und meiner Nase nicht zu trauen. Der einzige Verkaufsladen, den ich kannte, war das Geschäft meines Großvaters, in dem sich abgestandener Tabakrauch mit dem Geruch gärenden Sauerkrauts mischte. In diesem Laden dagegen drangen sämtliche Düfte der Welt zugleich in meine Nase, wobei ich eindeutig den Geruch von Rosenöl, frischem Backwerk und neuer Wandfarbe registrierte. Hinter einer schier endlosen Verkaufstheke stand ein Dutzend hübscher Mädchen mit weißen Schürzen. Mich wehte der Anflug von Dünkel an, als ich sah, wie blasiert die Verkäuferinnen ihre Kundschaft abfertigten. Die turmhohen Regale hinter dem Verkaufstresen erschlugen mich mit ihrem Angebot. Ich stellte fest, dass es in diesem Laden vier verschiedene Marken Zahncreme und doppelt so viele Sorten Seife gab, darunter die edle Luxor mit Rosenessenz, nach der die zickige Vera Raducanu immer verlangte, um Großvater vorzuführen. Während Ilja nur eine einzige Regalreihe mit Konserven feilbot, bei denen man nie genau wusste, was in ihnen steckte, weil die Etiketten abgeblättert waren, türmten sich in dem Verkaufsraum des sozialistischen Volkskonsums unzählige Blechdosen mit allem erdenklichen Gemüse zu kunstvollen Pyramiden auf. Im Gegensatz zu unserem Ladenlokal lagen Birnen und Äpfel nicht einfach in zersplissenen Weidenkörben, hier waren die Äpfel hinter einer Obsttheke auf Hochglanz poliert und trugen klingende Namen wie »Golden deliziös« oder »Jonas delux«, wie auf schwarzen Schiefertäfelchen zu lesen war. Daneben leuchteten Berge von Bananen, bis ich beim näheren Hinschauen erkannte, dass sie vor einem raffinierten System silberner Spiegel auslagen, die das verlockende Angebot optisch
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