Wie die Madonna auf den Mond kam
Überführung Fernanda Kleins vom Spital in Kronauburg nach Baia Luna und von der Leiche Johannes Baptistes, über deren Verbleib weder der Fahrer des Leichenwagens noch die Ärztin Paula Petrin etwas wussten.
»Herr Kommissar, Sie waren doch dabei, als der Chauffeur die beiden von Baia Luna nach Kronauburg brachte. Wieso ist dann eine Leiche obduziert worden und die andere nicht? Erst wird unser Priester grausam ermordet, und dann verschwindet auch noch sein Leichnam. Verstehen Sie, wir müssen Pater Johannes wenigstens anständig beerdigen.«
Patrascu strich sich durch den Bart und zog den Rauch seiner Zigarette ein. »Schlimme Geschichte. Aber ich weiß auch nicht, wo euer Priester ist.«
»Und wenn Sie es wüssten ?«, fragte ich beherzt, ermutigt vom scharfen Alkohol.
»Ich will ehrlich sein.« Der Kommissar schwieg eine Weile. »Die Klappe bliebe zu. Ja, ich würde meinen Mund halten. Und ich sage euch auch, warum. Fünfundvierzig Jahre habe ich für dieses Land den Arsch hingehalten. Und ich sage euch, ich habe niemals so viel Dreck gesehen wie in den letzten Jahren. Und wenn einer auf seine alten Tage zu viel quatscht, dann wisst ihr in Baia Luna ja selber, wie man heutzutage solche Leute zum Schweigen bringt. Aber wie gesagt, alles rein hypothetisch, nur wenn ich tatsächlich eine Ahnung hätte, wo sich die Leiche des Priesters befindet.«
Ich zitterte vor Aufregung. Wenn ich schon wie ein Mann trinken sollte, dann wollte ich auch wie ein Mann reden. »Wenn Frau Doktor Petrin wüsste, dass der Kommissar Patrascu seine eigene Angst wichtiger nimmt als die Gerechtigkeit, glauben Sie, Paulinchen hätte Sie von uns grüßen lassen?«
Patrascu drückte seine Zigarette aus. Die Luft war zum Schneiden. Ich hatte gegenüber einem Mann, der gestern noch der ranghöchste Polizeibeamte im Bezirk Kronauburg war, die Gesetze des Respekts ignoriert. Doch wider Erwarten wandte sich Patrascu mit geradezu väterlichen Worten an mich.
»Pavel heißt du? Ich sag dir, Junge, du begreifst nicht, auf was du dich da einlässt. Ich weiß nicht, was mit der Leiche des Priesters passiert ist. Und ich will es auch nicht wissen. Nur so viel: Ihr kriegt da oben in eurem Bergkaff anscheinend nicht mit, dass hier Weltpolitik im Spiel ist. Euer Johannes Baptiste hat das Zeug zu einem Märtyrer. Hundertprozentig. Kapiert doch! Hier herrscht der Kommunismus. Ein Priester in den Bergen ist dagegen. Nun gut. Die Kehle mitten durch. Nicht gut. Menschenskinder, es gibt gewisse Kreise, weit über die Grenzen unseres Landes hinaus, nennen wir sie der Einfachheit halber streng katholisch und strikt antikommunistisch, die haben ein massives Interesse an solchen Märtyrergestalten. Und meine ganz private Meinung. Auch wenn ich dieses ganze religiöse Gehabe für ziemlichen Unfug halte, so werden diese Märtyrer unseren bekloppten sozialistischen Kollektivierungswahn zum Einsturz bringen. Nicht heute und nicht morgen, aber irgendwann. Das ist die Logik der Geschichte. Ein Wahn löst den nächsten ab. Royalisten, Gardisten, Faschisten, Kommunisten, Klerikalisten! Was weiß ich! Und wenn ihr endlich einseht, dass es in unserer Republik ebenfalls gewisse Kreise gibt, die an Märtyrern aus dem falschen Lager absolut kein Interesse haben, dann werdet ihr auch verstehen, weshalb Leichen verschwinden. Die Erinnerung an Leute, die ihr Blut lassen, ist immer gefährlich. Opferblut stiftet Unruhe. Aber wenn diese Figuren verschwinden, so wie der Schnee im Frühling schmilzt, dann ist Feierabend. Vergangen, vergessen, vorbei. Märtyrer, die keiner kennt, sind keine. Die Vergesslichkeit der Menschen wird oft unterschätzt. Wenn es kein Grab gibt, zu dem sie pilgern können, dann ist es mit der Erinnerung zackzack vorbei. Ohne Grab keine Blumen. Ohne Tempel keine Götter. Nirgends wächst das Gras so schnell wie über dem Grab des unbekannten Soldaten.«
»Und dafür, dass wir in Baia Luna keine Grabstätte zum Gedenken an unseren Priester haben«, sagte Istvan Kallay zögerlich, »dafür ist eure Sekurität zuständig.«
»Ihr solltet jetzt gehen.« Patrascu stemmte sich müde aus seinem Sessel.
»Mit dem Frühling schmilzt der Schnee«, sagte ich zum Abschied. »Herr Kommissar, da haben Sie recht. Aber im Winter fällt neuer.«
»Junge, du hast nicht zugehört. Auch dieser Schnee wird schmelzen. Das ist das Rad der Geschichte. Du bist jung. Du willst den Lauf der Welt anhalten. Dazu musst du dem Rad sehr nahe kommen. Und dann wird es dich
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