Wie die Madonna auf den Mond kam
nicht gefallen, dass ich die bescheuerten Verse ein bisschen nachgebessert habe.«
Schlagartig begriff ich, weshalb Fritz nicht mehr am Sportunterricht teilgenommen hatte. Und ich hatte Fritz heimlich bewundert. Während ich und meine Mitschüler noch in kurzer Hose zum Unterricht geschickt wurden, war Fritz der einzige Schüler aus Baia Luna, der selbst im Sommer lange Stoffhosen trug. Sein Vater Heinrich hatte sie aus Kronauburg mitgebracht. Von einem Herrenausstatter. Was Fritz in meinen Augen so erwachsen machte, verbarg nichts anderes als die Spuren seiner Misshandlungen. Mir fiel der Satz ein, den mir die Lehrerin Angela Barbulescu nachgerufen hatte, als ich Hals über Kopf aus ihrer Wohnkate stürmte. »Pavel, die Dinge sind oft anders, als sie uns scheinen.«
»Fritz! Deine Mutter wartet!« Kathalina rief durch den Treppenflur.
»Ich muss los, Pavel. Behalt das Foto und mach irgendwas. Leg diesen Mistkerlen ein paar Steine in den Weg.«
Ich steckte das Bild unter die Bettmatratze. Im Schankladen wartete Birta. Ich trat mit Großvater und meiner Mutter vor die Tür, um Fritz und Frau Hofmann zu verabschieden. Draußen stand der Mercedes mit laufendem Motor. Daneben parkte Herrn Hofmanns Moto rrad mit zwei verschnürten Papp kartons auf dem Sozius. Heinrich Hofmann schritt auf seinen Sohn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Fritz steckte seine Hände in die Hosentaschen.
»Sieh zu, dass in Deutschland was aus dir wird.« Hofmann stülpte seinen Helm über und schwang sich auf sein Rad, ohne noch einmal zu Fritz und seiner Frau zu schauen. Birta brachte vor Verlegenheit kein Wort heraus und reichte uns zum Abschied die Hand.
»Mach's gut«, sagte Fritz. »Schade, dass ich weg muss. Und wegen dieser Geschichte mit dem Licht in der Kirche. Es tut mir ehrlich leid, wenn du deswegen Ärger hattest. Doch ob in diesem Nest eine kleine Lampe brennt oder nicht, was macht das für einen Unterschied?«
Als ich zurück ins Haus ging, schneite es erneut. Die Flocken sanken träge und schwer zur Erde. Der Kalender zeigte Freitag, den 15. November 1957, an. Der Winter war endgültig eingebrochen. Baia Luna standen die langen Monate bevor, in denen das Dorf in tiefer Abgeschiedenheit vor sich hin dämmerte. Bei dem Schnee gelangte niemand aus Baia Luna heraus und niemand hinein. Doch die Einsamkeit hatte auch etwas Beruhigendes. Der Sekurist Raducanu war noch immer nicht aufgekreuzt, um die Namensliste abzuholen. Bis zum Frühjahr bliebe Karl Koch der Anblick des Milchgesichts erspart.
»6. November, A. Barbu, Schlüssel Bücherei. Retour! ! !«
Ich steckte den Zettel in die Hosentasche. Mit der Begründung, mich zu langweilen, erklärte ich meiner Mutter, ich ginge in die Pfarrbibliothek, um zu schauen, ob Dimitru mir nicht ein brauchbares Buch empfehlen könne.
»Du willst ein Buch ausleihen?«, fragte Mutter erstaunt. Selbst Großvater, der mangels Kundschaft hinter der Ladentheke eingenickt war, horchte auf. »Pass auf, dass Dimitru dir keinen Schund andreht.« Er reichte mir eine Flasche Zuika. »Bücher wärmen nicht. Sag Dimitru, er soll sich mal wieder sehen lassen und die Flasche nicht auf einmal leer trinken.«
Ich drückte den Klingelknopf am Pfarrhaus, aber die Schelle blieb stumm. Da der Eisenschmied Simenov beim Aufbrechen des Schlosses jedoch ganze Arbeit geleistet hatte, ließ sich die Haustür mühelos aufstoßen. Aus der Bücherei drang wüstes Geschimpfe. Zuerst glaubte ich, Dimitru streite mit jemandem aus seiner Sippe, dann wurde mir klar, er war allein in der Bibliothek und haderte mit sich selbst. Von meinem Klopfen nahm der zeternde Zigeuner keine Notiz. Ich drückte die Klinke. Als ich über die Türschwelle trat, musste ich mich blitzschnell ducken, um nicht von einem Folianten getroffen zu werden.
Ich erschrak. Dimitru trug ein paar Stofflappen um die Stirn, die er sich beim Anblick des ermordeten Papa Baptiste blutig geschlagen hatte. Mit dem armseligen Wundverband sah er aus wie ein Krieger nach verlorener Schlacht, wie ein Mensch, der aus der Zeit gefallen war. Dann sah er mich.
»Oh, oh, oh! Welche Ehre, welche Freude, welches Glück! Pavel, du hier? An der Stätte des Geistes.«
Ohne dass ich mich wehren konnte, drückte mich Dimitru an sich und schmatzte mir die Wangen ab. Ich entwand mich, und Dimitru hob den Wälzer auf, den er gerade noch durch die Gegend geschleudert hatte. Er klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Ledereinband. »Das hier ist das Handbuch des Weltalls.
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