Wie die Madonna auf den Mond kam
Klingel verstummt war.
Fabian hatte sich nie wieder gemeldet, und Alexa hatte ihr blutverschmiertes Kleid in den Mülleimer gestopft.
»Ich will es ihr ersetzen«, stand in dem Tagebuch, »aber Alexa sagt, das Kleid sei den Ofen nicht wert, weil es sie an einen dieser Mistkerle erinnere. Alexa redet zwar recht derb, aber sie ist doch ein feiner Mensch.«
Die Freundin hatte Angela damals angeboten, zu ihr in ihre kleine Stadtwohnung zu ziehen. »Ich muss hier raus. Mutter ist verrückt und liegt nur noch im Bett. Alles Geld trage ich in die Apotheke, doch selbst von den vielen Tabletten geht es Mutter nicht besser. Sie ist verloren. Warum soll ich es auch sein ?«
Angela hatte das Angebot ihrer Freundin anscheinend nicht angenommen und wiederum ein Jahr kaum eine Zeile geschrieben.
Die Gluthitze der Erregung schoss mir in den Kopf, als ich unter dem Datum 2. September 1947 erstmals den Namen las, auf den ich schon die ganze Zeit gewartet hatte: »Stefan.« »Das muss unser Parteisekre tär aus Kronauburg sein«, flüs terte ich Buba zu.
»Der Freund von Fritz Hofmanns schweinischem Vater?« »Ja. Genau der.«
Meine Vermutung bestätigte sich. Anfang Oktober, das hatte Angela von Alexa erfahren, würde ein gewisser Stefan Stephanescu zum Doktor der Ökonomie promoviert. Zuerst finde ein förmlicher Akt mit den Würdenträgern der Universität statt, wo man nichts verloren habe, am Abend jedoch plane Stefan eine Feier mit lauter unterhaltsamen Leuten.
»7. September 1947. Ich habe kein Kleid, aber ich gehe mit, selbst wenn Mutter ... « Hier riss die Zeile ab. Angela war zweifels frei fest entschlossen, Alexa zu Stephanescus Fest zu begleiten. Sie lief in den nachfolgenden Wochen zwar immer noch für ihre Mutter in die Apotheken, doch anstatt der teuren Herztabletten kaufte sie allem Anschein nach nur billige Vitaminpräparate. »Mutter merkt nichts. Ich müsste ein schlechtes Gewissen haben. Aber es meldet sich nicht. Bald habe ich das Geld für mein Kleid zusammen. Hätte gern das Rosenmuster gehabt. Hängt aber leider nicht mehr im Schaufenster. Aber die Sonnenblumen sind auch wunderschön, und vielleicht hat Alexa recht, und die Brauntöne passen besser zu meinem blonden Haar, jetzt, wo es Herbst wird.« Am 1:1. September 1947 schrieb Angela: »Anzahlung gemacht! In drei Wochen gehört es mir.«
Dann, das fiel mir aller dings erst später, nach wiederho lter Lektüre des Tagebuchs auf, tauchte Angelas Mutter nie wieder auf. Kein einziges Wort ließ darauf schließen, was aus Trinka Barbulescu geworden war.
Nach der Feier von Doktor Stefan Stephanescu war Angela zu ihrer Freundin Alexa gezogen. Die Aufzeichnungen verloren den schwermütigen und gequälten Tonfall. Sie klangen, als schreibe keine erwachsene Frau, sondern ein schwärmerisches Mädchen.
»3 . Oktober 1947. Er hat mit mir getanzt. Es war wunderschön. Dachte immer, ich kann das nicht. Aber mit Stefan kann ich alles. Wenn er mich beim Tanzen hält, bin ich leicht. Ich schwebe. Er ist so aufmerksam und gar nicht so, wie man sich einen Doktor der Wirtschaft vorstellt, langweilig und streng. Und eingebildet ist er auch nicht. Er ist witzig, beliebt und bringt alle zum Lachen. Besonders mich. Er will mich wiedersehen. Schon bald, wenn einer seiner Freunde Geburtstag feiert. Er heißt Florin und ist frisch gebackener Arzt, Spezialist für Nervengeschichten. Stefan will mich mitnehmen, und ich soll wieder das Kleid mit den Sonnenblumen anziehen. Es gefällt ihm. Ich gefalle ihm. Das Leben ist wunderbar.«
»1 1. Oktober 1947. Die Party war schön. Wegen Stefan. Seine Freunde sind wirklich interessant. Auch wenn ich Florin lieber aus dem Weg gehe, er hat so einen stechenden Blick. Heinrich ist sogar eigens aus Kronauburg angereist. Er ist etwas älter und schon verheiratet. Er hatte seinen Fotoapparat dabei und hat sehr viel geknipst. Auch Stefan und mich. Beim Freundschaftskuss. Hoffentlich sehe ich nicht blöd auf dem Bild aus, hatte bestimmt die Augen geschlossen. Heinrich hat versprochen, mir beim nächsten Mal einen Abzug mitzubringen, weil er jetzt öfter in der Hauptstadt zu tun hat. Manche Freunde von Stefan bleiben mir fremd. Vielleicht weil sie so frei und ungezwungen sind. Aber dieser Koka ist widerlich. Koka ist ein Kotzbrocken, sagt Alexa. Aber sie poussiert mit ihm rum. Sie sagt zwar, sie sei wählerisch, aber sie küsst jeden. Stefan meint, das Leben biete tausend Möglichkeiten, und ich hätte erst eine oder zwei davon genutzt. Er hat
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