Wie die Madonna auf den Mond kam
»Den kenne ich nicht.«
»Dimitru, deine Geschichte hat einen Haken«, sagte ich. »Dein Igelgott legt den Hasen rein. Dein Gott ist ein Betrüger, ein Falschspieler, der nur so tut, als sei er immer da, ohne sich wirklich zu rühren, während der arme Hase, oder von mir aus auch dieser Nietzsche, sich ehrlich und ohne billige Tricks abrackert.«
»Genau«, pflichtete Buba bei, »der Hase stirbt vor Erschöpfung, weil Gott ihn aufs Kreuz legt. Das ist gemein.«
Dimitru räusperte sich. »In diesem Falle irrt die Jugend. Der Hase verliert nicht, weil der Igel ihn hereinlegt, sondern weil er nie um jeden Preis der Erste sein will. Er krepiert lieber, statt darauf zu verzichten, zu gewinnen.«
Ich nahm Bubas Hand. Sie erwiderte den sanften Druck. »Dimitru«, sagte ich, »würdest du mir helfen?«
»Immer gern und jederzeit.«
Ich holte die Notiz aus der Hosentasche und reichte sie ihm.
»A Punkt Barbu! Das ist seine Schrift! Das hat Papa Baptiste geschrieben!« Ehrfurchtsvoll, als halte er eine kostbare Reliquie in den Händen, betrachtete Dimitru das Stück Papier. »Sechs Punkt, elf Punkt. Du weißt, Pavel, Zahlen sind, anders als bei deinem guten Opa Ilja, absolut nicht mein Metier.«
»Gemeint ist der 6. November. An diesem Tag war die Lehrerin Barbulescu im Pfarrhaus. Und wie es aussieht, hat ihr Pater Johannes den Schlüssel zur Bücherei gegeben.«
Dimitrus wunde Stirn legte sich in Falten. »Jetzt wird mir einiges licht. Den 6. November vergesse ich nie. An dem hat dein Großvater Geburtstag. An diesem 6.1.1.. war ich nicht hier in der Bibliothek. Ich stand doch den ganzen Morgen zu Hause auf heißen Kohlen, ob mein schusseliger Vetter Salman auch pünktlich den Fernseher ankarrt. Salman kam nach Mittag. Mit dem Apparat, aber ohne Antenne, dafür schleppte er diesen Hünen mit dem Schnauzbart und der Warze auf der Backe an, diesen Burschen, der so gestelzt nach der Lehrperson Fräulein Barbulescu fragte. Erst am nächsten Tag, nach Iljas Geburtstag, bin ich wieder in die Bibliothek gegangen. Als ich hier reinkam, habe ich mir sofort gesagt: Dimitru, hier ist was faul. Alles sah aus wie immer. Aber«, Dimitru trommelte mit dem Zeigefinger gegen seine Nase, »der Geruch war anders. Zuerst habe ich gedacht, jemand hätte Blumen abgestellt, aber ich habe keine gefunden. Aber ich schwöre, es duftete nach Rosen. Stellt euch vor, jetzt im frostigen Winter, wie kann es da nach Rosen riechen? Aber ich spinne nicht. Ich spinne nie.«
»Die Barbu hat ein Parfüm , das so riecht«, erklärte ich.
»Dann war sie hier!« Dimitru schaute n och einmal auf Baptistes Zettel notiz, drehte und wendete das Papier und hielt es gegen das Licht. »Hundertprozentig war Fräulein Barbulescu hier. Und weil es zu den Pflichten einer Bibliotheksleitung gehört, die Bücher vor unbefugten Zugriffen zu schützen, schließe ich immer die Tür ab, wenn ich nicht hier bin. Da ist sie eben hoch zu Papa Baptiste. Es gibt nämlich zwei Schlüssel. Einer steckt in meiner Tasche, der andere hängt immer an einem Brett neben der Garderobe oben in der Pfarrerswohnung. Da ist Empiristik von Nutzen. Prüfen und kontrollieren! «
Dimitru eilte die Treppe hinauf. In Windeseile kam er zurück und streckte mir auf den Handflächen zwei Schlüssel entgegen.
»Es sind dieselben«, bemerkte ich.
»Es sind die gleichen«, korrigierte mich der Zigan. Gemeinsam zogen wir die Schlussfolgerung, dass Angela Barbulescu am frühen Nachmittag des 6. November den Pfarrer um den Büchereischlüssel gebeten hatte. Johannes Baptiste hatte ihr seinen Schlüssel ausgehändigt und dies als Eri nnerungsstütze auf einem Stückc hen Papier notiert. Die Barbu ging in die Bücherei, hinterließ einen Hauch von Rose und brachte den Schlüssel zurück, wo ihn Baptiste oder die ordnungsliebende Fernanda wieder an das Schlüsselbrett hängte. So weit war der Vorgang nachzuvollziehen.
»Nun müssen wir herausfinden, was die Barbu hier zwischen all den vielen Büchern gemacht hat«, fasste Buba zusammen. »Normalerweise geht man in eine Bücherei, um Bücher auszuleihen«, sagte ich.
»Oder um ein Buch, das man zuvor ausgeliehen hat, zurückzubringen«, ergänzte Dimitru.
»Und«, fragte ich begierig, »hat die Barbu zuvor ein Buch ausgeliehen?«
»Nein. Nie. Sie hat die Schwelle zum Pfarrhaus nie übertreten. Das wüsste ich. Sie wohnte ja direkt in der Nachbarschaft von uns Zigeunern. Als sie im Dorf einzog, habe ich sie oft hierher eingeladen. >Willkommen in der
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