Wie die Madonna auf den Mond kam
wissen, wo das Kind der Barbu geblieben ist.«
»Das frage ich mich auch die ganze Zeit.« Ich legte einen Arm um Buba, mit der freien Hand griff ich nach der grünen Kladde. Dann flog die Tür auf.
Susanna Gabor hatte nur den Spuren im Schnee folgen müssen.
»Du Schlampe! Du Miststück! Kriechst mit einem Gadscho unter die Decke. Du Hure, du schmutzige Flitsche.« Susanna stürmte auf Buba zu.
Ich sprang auf, um mich schützend vor sie zu stellen, doch der rasenden Wut der Zigeunerin war ich nicht gewachsen. Wie besessen hämmerte Susanna mit ihren Fäusten erst auf mich, dann auf ihre Tochter ein. Sie bekam Bubas Haare zu fassen und riss ihr büschelweise Locken vom Kopf. Während Buba verzweifelt rief: »Er ist mein Freund, er ist mein Freund. Ich will keinen anderen. Nie, nie, nie«, keifte ihre Mutter: »Schande! Welche Schande. Weg mit dir! Weg, du geile Gadschenbuhle! «
Sie stieß die wimmernde Buba aus dem Pfarrhaus und zerrte sie an den Haaren durch das Dorf. Susannas Gezeter durchschnitt die Winternacht wie das Geheul einer Wölfin. In den Häusern gingen die Lichter an, und die Bewohner von Baia Luna schoben mit stummem Schrecken die Gardinen zur Seite.
Ich betrat die Schankstube. Vor Kummer blind, sah ich zwei Brüder im Geiste auf der Holzbank neben dem Ofen schnarchen, berauscht von Wein und Selbstzufriedenheit. Unter meinem Mantel steckte Angelas grünes Tagebuch.
Wie sehr hatte ich dem Moment entgegengefiebert, wieder mit Buba in den Aufzeichnungen der verschollenen Lehrerin zu lesen. Doch als ich in meinem Bett lag, die grüne Kladde mit beiden Händen umklammert, hatte das eben noch so kostbare Buch für mich an Wert verloren. Meine Sorge galt nicht dem, was mit Angela Barbulescu einst geschehen war, sondern dem, was mit meiner Freundin geschehen würde. Da ich keinen Weg in den erlösenden Schlaf fand, zündete ich die Nachtlampe an, in der Gewissheit, dass es mir Buba niemals übel nehmen würde, wenn ich in dieser Lage allein in dem Tagebuch blätterte.
Ich klappte die ersten Seiten auf und las zum zweiten Mal den Satz, den Trinka Barbulescu vor einem Vierteljahrhundert zur Weihnacht 1931 in das Poesiealbum ihrer Tochter geschrieben hatte: »Wer nicht hofft, wird nicht enttäuscht.«
Angela hatte gehofft. Gegen den Rat ihrer lebensfeindlichen Mutter. Und sie war enttäuscht worden. Von einem Mann, der ihre Sehnsucht auf das Leben geweckt hatte, doch der hinter seiner jovialen Fassade und seinem Lächeln nur seine Eiseskälte verbarg. »Er saugt sie leer«, hatte Buba gesagt.
3. November 1949· »Untersuchung bei Frau Dr. Bladogan.
Sie sagt: >Fräulein Barbulescu, nun wird es aber Zeit, wenn Sie nicht mit prallem Bauch am Traualtar stehen wollen.< Konnte nicht mal weinen. Bin jetzt im fünften Monat. Vielleicht weiß er es längst von Alexa. Habe S. seit dem Sommer nicht mehr gesehen. Ich werde mein Kind allein zur Welt bringen. Ohne ihn. Werde es ihm wenigstens ins Gesicht sagen. Morgen stehe ich in seinem Büro!«
Schon nach wenigen Zeilen tauchte ich wieder ab in die Vergangenheit meiner verschwundenen Lehrerin, ohne mich als Eindringling zu erleben. Angela hatte ihr Tagebuch nicht mit der Absicht in der Bücherei versteckt, ihre Gedanken zu verbergen, sondern in der Hoffnung, dass sie entdeckt würden. Zumindest diese Hoffnung hatte sich erfüllt. Als ich weiterblätterte, enttäuschte mich, dass mehrere Blätter aus dem Buch herausgerissen waren. Die Unzufriedenheit wuchs, weil auch die folgenden Seiten nichts preisgaben. Die Handschrift war fahrig, kaum leserlich und zudem mit wüsten und wirren Strichen durchkreuzt. Ich überschlug den Teil, als mich die Gänsehaut frösteln ließ. Auf der rechten Seite des Tagebuches prangte ein bräunliches Kreuz. Der Farbverlauf ließ erkennen, dass Angela Barbulescu zwei daumenbreite Striche hoch und quer über das Papier geschmiert hatte. Links daneben standen mit fetten Druckbuchstaben Worte, die an die Inschrift eines Grabsteins gemahnten.
»Mächtige stürzen v om Thron Niedrige werden erhöht
Seine Stunde wird schlagen wenn er ganz oben ist
Baia Luna, 15. August 1950«
Ich vermisste Buba. Mit ihr hätte ich die Wucht des Kreuzes und der Worte ein wenig abfangen können, deren abgründige Botschaft mich bestürzte. Mit »er« war niemand anderes als der Parteisekretär aus Kronauburg, Stefan Stephanescu, gemeint, der Mann, den ich vernichten und zur Hölle schicken sollte. Ich zwang mich zu denken. Die Orts- und Datumsangabe
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