Wie die Madonna auf den Mond kam
verrieten, dass Angela Barbulescu die düstere Ankündigung niedergeschrieben hatte, als sie schon nicht mehr in der Hauptstadt, sondern bereits in Baia Luna lebte. Ein Dreivierteljahr war seit ihrer Notiz über ihre fortgeschrittene Schwangerschaft und ihre Absicht, den Kindsvater Stephanescu aufzusuchen, verstrichen. Auf die Frage, was ihr in den letzten Monaten in der Hauptstadt widerfahren war, fand ich keine Antwort. Ausgerechnet die wichtigsten Mosaiksteine in ihrer Lebensgeschichte fehlten.
Ich war im August 1950 acht Jahre alt gewesen und hatte an die Ankunft der Lehrerin im Dorf nur eine ungefähre Erinnerung. Ich wurde damals in die erste Klasse eingeschult, etwas spät für mein Alter, aber seinerzeit fand in Baia Luna mangels Lehrperson kein Unterricht statt. Mit Angela Barbulescu hatte das Erziehungsministerium eine neue Lehrkraft in unser Dorf geschickt. Ihre Beziehung zu den Leuten stand von Beginn an unter einem schlechten Stern. Das bestätigten auch ihre Tagebucheinträge in den Monaten nach ihrer Ankunft. Sie schrieb von dem Misstrauen, das ihr als Frau aus der Stadt entgegengeschlagen war, erwähnte den Tratsch im Dorf, Gerüchte, Gemeinheiten und Gehässigkeiten, wobei immer wieder der Name »die KK« fiel, eine Abkürzung, hinter der niemand anders steckte als Kara Konstantin. Dennoch verrieten die ersten Aufzeichnungen aus Baia Luna mir nicht mehr, als ich aus eigener Erfahrung wusste.
Im letzten Teil des Tagebuches hatte Angela Barbulescu mit zittriger Hand Absichtserklärungen aufgeschrieben, die eher den Wunsch als den Willen verrieten, vom Alkohol zu lassen. Obschon jede Datumsangabe fehlte, dokumentierten die Einträge den steten Verfall einer haltlosen Frau und Trinkerin. Zwischendurch schienen auch Momente von Klarheit auf, Angela Barbulescu erlebte den Prozess ihrer Selbstzerstörung sehr bewusst, ohne die Kraft aufzubringen, sich gegen den eigenen Untergang zu wehren. Sie wusste sehr wohl, dass sie eine schlechte Lehrerin war, deren Energie gerade noch dazu ausreichte, den Kindern endlose Abschreibaufgaben aufzutragen. Und sie wusste auch, dass sie bei den Schülern weniger gefürchtet als verachtet war. Als ich in dem Tagebuch meinen eigenen und den Namen von Fritz Hofmann las, wurde mir schmerzlich bewusst, der Lehrerin war keineswegs verborgen geblieben, wenn ich mit Fritz beim Rechnen abstruse Zahlen zu Papier brachte. Sie hatte sogar mitbekommen, dass Fritz die stupiden Parteigedichte nach eigenem Gutdünken abwandelte. »Fritz kann so fies sein. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm. Aber er hat einen eigenen Kopf. Und poetische Fantasie. Ich hoffe, er wird nicht wie sein Vater, dieser ... « Das abschließende Wort konnte ich zwar nicht entziffern, aber das war nach meinem Wissen über den Fotografen Heinrich Hofmann auch nicht nötig.
Ich blätterte vor. Als ich den allerletzten Eintrag Angela Barbulescus suchte, wusste ich, wann sie ihn geschrieben hatte: am Morgen des fünfundfünfzigsten Geburtstages meines Großvaters, als er mit Dimitru nach dem Sputnik horchte. Ich hatte Dimitru durch den Nebel nach Hause begleitet und durch ihr Fenster beobachtet, wie sie am Küchentisch saß und schrieb.
Es war ein Abschiedsbrief. In sauberer und klarer Druckschrift. Er wurde eingeleitet mit einer steifen Anrede und glich einem förmlichen, unpersönlichen Behördenschreiben.
Sehr geehrter Herr Genosse Parteisekretär Dr. Stephanescu, gestern brachte der Bote das Paket von der Bezirksregierung. Den Erhalt der Fotografie bestätige ich hiermit. Der Aufforderung, Ihr Porträt unverzüglich und wohlpositioniert im Schulgebäude von Baia Luna aufzuhängen, werde ich nachkommen. Ihr Bild wird in den Schulen neben dem Bild des Staatspräsidenten hängen. Die Kinder werden zu Ihnen aufschauen. Auf zu Ihrem Lächeln. Ihr Partner Hofmann hat gute Arbeit geleistet. Wie immer. Obwohl er sonst auf andere Bilder spezialisiert ist.
Was ihr mir in der Praxis von Doktor Pauker bei meiner Niederkunft angetan habt, ist böse. Die Fotos, die Hofmann mit mir und deinen ekligen Freunden gemacht hat, sind widerwärtig. Sie haben lange Jahre meinen Mund verschlossen. Jetzt nicht mehr. Von mir aus kann Hofmann diese Bilder an den Pfarrer im Dorf schicken. Macht damit, was ihr wollt. Hängt meine Bilder an jeden Laternenpfahl. Ich habe keine Angst mehr.
Einst sagte ich einem Schüler, du seist ein Zauberer, der Wein in Wasser verwandele. Ich konnte diesem guten Jungen die Wahrheit nicht sagen. Du
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