Wie die Madonna auf den Mond kam
denkst du, weshalb ich studiere? Ich prüfe die Möglichkeit der Fehlbarkeit des unfehlbaren päpstlichen Lehramtes. Sollte sich herausstellen, dass dem Pius in Rom bei seinem Dogma ein Errorfatal unterlaufen ist oder er die Gläubigen gar mit Absicht getäuscht hat, dann ist die Kiste zu. Dann ist von der Jesusmutter nichts geblieben als Staub und Knochen, irgendwo verstreut im Heiligen Land. Dann bleibt nur zu konsternieren, vergiss die Himmelfahrt! So sehe ich das.«
»Wohl wahr«, bestätigte Großvater. »Sehe ich genauso.«
Er schenkte nach und stand auf. Die Schublade unter der Registrierkasse quietschte. Neben dem Trinken brach Großvater offenbar mit einer weiteren Regel seiner Gewohnheiten. Er holte die neue Zigarrenkiste hervor, die ich ihm zu seinem Fünfundfünfzigsten geschenkt hatte.
»Hier, Dimitru, gönn dir eine. Es geht nichts über eine gute Kubanische.«
Zündhölzer flammten auf. In der Stille breitete sich der kräftige Duft des Tabaks aus. Dann sprach Dimitru aus, was längst fällig war, seit jenem Tag, als er meinem Großvater die Hand lieh und »Borislav Ilja Botev« auf die von Raducanu geforderte Namensliste setzte.
»Deine Kubanischen sind eine feine Sache, Ilja. Der Bulgare versteht was vom Zigarrendrehen. Aber warum er bei dem kyrillischen Gekritzel immer die Buchstaben links herum tourniert, ist mir nicht klar. Das kann doch kein des Lateinischen Kundiger lesen. Übrigens wird es Zeit, dass du endlich lernst, die Buchstaben zu entziffern.«
»Ich weiß, Dimitru, ich weiß. Es wird höchste Zeit.«
»Ab morgen wirst du Unterricht nehmen. Bei mir persönlich. Jeden Tag eine Stunde. Als Gastronom kannst du dir die Unschuld der Unwissenheit leisten, aber nicht als Verbündeter in kniffligster Mission. Wie willst du gegen diesen Schlaufuchs von Koroljow bestehen, wenn du nicht mal deinen Namen auf ein weißes Blatt kriegst?«
»Und du wirst niemandem davon erzählen?«
»Welche Frage! Ich bin dein bester Freund! Ich gelobe zu schweigen. Fühlst du dich jetzt besser?«
Großvater lachte. »Viel besser. Aber da ist noch etwas ... « »Nur zu!«
»Also, auch wenn diese Kiste nur als Radio funktioniert, so glaub mir, Dimitru, mit dem Fernseher hast du mir eine große Freude gemacht. Aber manchmal denke ich, die Freude, solch eine Gerätschaft zu besitzen, ist zu groß. Das Geschenk muss doch ein Vermögen gekostet haben, und ihr Zigeuner habt ja nun wirklich nichts auf der Kante. Ich denke, jetzt, wo wir nicht nur Freunde sind, sondern auch Verbündete, kannst du mir doch sagen, woher das Geld für den Apparat stammt. Nicht, dass ich sagen will, du hättest das Gerät, wie soll ich sagen, außerhalb der Gesetze irgendwie organisiert, aber ... «
»Ein guter Rom stiehlt nicht!«
Ich war mir sicher, gleich würde Dimitru beleidigt aufspringen und meinem Großvater fluchend die Freundschaft aufkündigen. Doch es blieb ruhig. Ich öffnete die Augen und sah, wie der Zigan sich tapfer bemühte, seinen Kummer zu verbergen.
»Dimitru«, fragte Opa besorgt. »Was ist mit dir?«
»Musst du mich ausgerechnet in dieser Stunde an meinen verstorbenen Vater Laszlo erinnern?«
»Aber, Dimitru, das Unglück an der Tirnava liegt über zwanzig Jahre zurück. Dein Vater ist lange tot, und ich werde es nie vergessen, wie er versucht hat, meine Agneta und Antonia aus der Kutsche zu retten. Genauso wenig, wie ich je vergessen werde, dass du mit mir in das eisige Wasser gesprungen bist. Aber was hat um Himmels willen der Tod von Laszlo mit dem Fernseher zu tun?«
Dimitru schluchzte. »Es war Vaters Idee. Ich meine, nicht die Geschichte mit dem Fernseher, ich meine die Geschichte, wie wir an Geld kommen wollten. So wie der Amerikaner. Hast du kein Geld, geh dorthin, wo welches ist. So kamen wir auf dieses Geschäft mit den kleinen Fläschchen.«
»Ich entsinne mich, ihr hattet damals in Kronauburg Flaschen gekauft. Viele Flaschen.«
»Keine Flaschen. Fläschchen! «, berichtigte der Zigan, »winzige Bouteillen mit noch winzigeren Korken, aus braunem Glas. Wegen des Lichtschutzes. Wenn du verstehst.«
»Ich verstehe gar nichts!«
»Nun gut, wenn du darauf bestehst, werde ich dir alles beichten.« Dimitru trank seinen Zuika aus und erzählte, dass die schicksalhafte Geldknappheit der Zigeuner seinen Vater zu immer ausgeklügelteren Methoden der Mittelbeschaffung inspiriert habe. Kurz nach der Ankunft seiner Sippe in Baia Luna habe Laszla eines schönen Sommertags im Jahr 1935 am Rande des Dorfes auf
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