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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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verschwunden. Pavel, ich sehe sie nicht mehr. Sie ist weg. Ich kann sie nicht mehr anrufen.«
    Ich war überrascht und auch etwas stolz, dass mein Großvater mir seine Gedanken anvertraute und mich mit meinen fast sechzehn Jahren nicht mehr wie ein Kind ansprach.
    »Nie, Pavel, niemals quälte mich ein Glaubenszweifel. Doch seit dem Mord an Johannes Baptiste verflüchtigt sich meine Zuversicht wie eine versiegende Quelle. Ich frage mich, wer hat den Brunnen vergiftet? Wer ließ den Baum verdorren? Zuerst dachte ich, die staatliche Sicherheit steckt hinter allem. Aber warum sollte sie soweit gehen, einem greisen Priester den Hals zu durchschneiden? Das kann ich mir bei allen Widerwärtigkeiten, die man der Sekurität nachsagt, nicht vorstellen. Zumal ein Priester nie allein steht: Er hat die Autorität der ganzen katholischen Kirche hinter sich. Damit legt sich kein Staat ohne ernste Bedrohung seiner Macht an. Andererseits, Pavel, kann es nicht sein, dass doch etwas daran ist, was die verrückte Konstantin überall herum trompetet ? Was ist, wenn Fräulein Barbulescu sich am Mondberg selbst gerichtet hat, weil sie tatsächlich etwas mit der Ermordung von Pater Johannes zu tun hat?«
    »Hat sie nicht«, antwortete ich.
    »Ich glaube das auch nicht. Auch Dimitru ist überzeugt, dass sie nicht die Mörderin von Fernanda und Johannes war. Und ich glaubte auch nicht, was die Kora an üblen Nachreden verbreitet. Trotzdem hege ich eine schlimme Befürchtung. Pavel, ich habe eine Dummheit begangen. Und wenn sich die Geschichte ungünstig entwickelt, eine sehr große Dummheit sogar.«
    »Was, was meinst du?«, stammelte ich. »Welche Dummheit?«
    »Die Konstantin behauptet, die Lehrerin Barbulescu habe am Mittwoch, dem 6. Novem ber, an meinem fünfundfünfzigs ten Geburtstag, das Pfarrhaus aufgesucht. Die meisten im Dorf haben dies als das Gerede einer Schwatzsüchtigen abgetan. Aber was ist, wenn die gehässige Lügnerin ausnahmsweise einmal die Wahrheit gesagt hat? Tatsache ist: Die Barbulescu hat die Pfarrei sonst nie betreten, ja, sie hat während ihrer Jahre in Baia Luna den Kontakt zu dem Pfarrer sogar tunlichst vermieden. Ich wundere mich schon, dass sie tatsächlich am 6. November bei Johannes war. Das hat auch Dimitru bestätigt. Angeblich wollte Angela Barbulescu den Schlüssel zur Bücherei ausleihen. Also hat Kora nicht gelogen, wenn sie beteuert, sie habe die Barbulescu beim Gang ins Pfarrhaus beobachtet. Dimitru war ihr Zeuge. Und ich, ich Dummkopf, habe in dem Glauben, ehrlich zu jedermann sein zu müssen, dies auch jeder und jedem gesagt. Den Frauen beim Einkauf ebenso wie den Männern in der Trinkstube. Natürlich sprach man im Dorf über die Mutmaßungen der Konstantin, demnach hinter aIl den Übeln, die Baia Luna heimsuchen, die Barbulescu steckt. Zuerst hatte ich mich aus allen Mutmaßungen herausgehalten. Aber wenn jemand wie die gute Elena Kiselev beim Einkauf behauptet, die Kora spinne, wenn sie die Barbu ins Pfarrhaus habe gehen sehen, dann muss ich doch widersprechen. Gerüchte sind das eine, Tatsachen das andere. Wo Kora recht hat, da hat sie recht. Aber nun, Pavel, da ich vor Augen habe, wie die irre Konstantin an dem Kleid der Selbstmörderin Barbulescu gezerrt hat, würde ich mir für den Satz >Dimitru hat die Barbu auch gesehen< am liebsten die Zunge abbeißen.«
    An diesem Heiligen Abend überkam meinen Großvater die schmerzliche Einsicht, dass es Momente gab im Leben, in denen Schlauheit wichtiger war als die lautere Gesinnung, es allen und jedem recht zu machen. Er ahnte, seine unbedachten Worte würden Folgen haben.
    Weihnachten, den 25. Dezember um die Mittagszeit, klopfte jemand an der Hintertür unseres Hauses. Kathalina öffnete und rief die Treppe herauf: »Pavel, eine junge Dame für dich!«
    Ich sprang die Stufen herunter, in der Erwartung, meine Freundin Buba zu sehen.
    »Ach, du bist es.«
    Julia Simenov war meine Enttäuschung nicht entgangen. »Störe ich? Soll ich wieder gehen?«, fragte sie unsicher. In ihren Händen hielt sie einen Kranz aus Tannengrün und ein schlichtes Kreuz aus zwei Holzlatten. Weil ich nicht antwortete, erklärte meine Schulkameradin: »Ich dachte, es ist für unsere Lehrerin, weil sie ja keinen Platz auf dem Friedhof hat. Und Verwandte, die sich um ihr Grab kümmern, hat sie ja wohl auch nicht.«
    »Ich gehe mit dir.«
    Das hatte ich Julia nicht zugetraut. Sie war bereits sechzehn und die älteste Schülerin in meiner Klasse. Ich müsste lügen, würde ich

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