Wie die Madonna auf den Mond kam
Johannes Baptiste mit Laszlo Carolea Gabor erstmals ein Ungetaufter auf dem Friedhof bestattet worden, doch dass eine vom Alkohol zerstörte Frau, die sich selbst gerichtet hatte, ihre letzte Ruhe in geweihter Erde finden sollte, das war selbst für den keineswegs kaltherzigen Katholiken Schuster dann doch zu viel des Mitleids.
Mit Schaufeln, Spitzhacken und Fackeln zogen einige Männer in Richtung Friedhofshügel. Vor der Eintrittspforte bogen sie links ab und suchten eine geeignete Stelle, die sie zuerst neben der alten Eiche wähnten. Weil man jedoch, wie Julius Knaup zu bedenken gab, von hier auf die spielenden Kinder auf dem Schulplatz blicken konnte, wählte man einen Ort hinter der oberen Friedhofsmauer. Die Totengräber schaufelten den Platz vom Schnee frei, hackten ein Loch in den frostharten Boden und legten die Tote hinein. Dann warfen sie das Loch wieder zu und stapften mit ihren Stiefeln die Erde fest.
Für mich gab es nichts zu tun. Ich schwamm in einem Meer, das kein Ufer kannte.
8
Eine sehr große Dummheit, ein Abschied für lange Zeit und der Wahn der Halbwahrheit
Obwohl schon fünfundfünfzig Jahre alt, hatte Großvater Ilja die Grenzen des Kronauburger Landes nie überschritten. Auch wenn er in Gedanken bisweilen zu der Fackelmadonna ins ferne Amerika aufbrach, so waren seine geistigen Expeditionen keinesfalls Ausflüge einer entfesselten Fantasie. Nie stellten sie infrage, dass ihm die Welt des Dorfes bis in den letzten Seelenzipfel Heimat war. Baia Luna gab seinen Füßen Wurzeln, seinem Leben Halt und seinen Träumen einen Platz, wo sie sicher wieder landen konnten. Reell zu sein zu jedermann, das war sein heiliges Gesetz. Dazu bedurfte es des wohlwollenden Blickes, frei von Misstrauen und Verdächtigungen. Er erlaubte meinem Großvater, den frömmelnden Küster Knaup oder die parteistrammen Brancusis ohne verzehrenden Groll zu ertragen, genau so wie die gallige Kara Konstantin oder die hochnäsige Vera Raducanu.
Bis zu dieser unseligen Weihnacht 1957.
Während meine Mutter Kathalina schlief, saß Großvater am Küchentisch. Sein niedergeschlagener, gar bitterer Blick verriet, dass an ihm das schleichende und zersetzende Gift des Zweifels nagte.
»Pavel«, sagte er nach einer Ewigkeit des Schweigens, »dieses Baia Luna ist nicht mehr mein Baia Luna. Und ich bin schuld.«
»Opa, was redest du? Du doch nicht. Du bist an gar nichts schuld.«
»Doch, Pavel. Was diese wahnsinnige Konstantin mit Fräulein Barbulescu gemacht hat, das habe ich zu verantworten. Und es schmerzt mich zutiefst. Wenn Dimitru erfährt, wie dumm ich war, wird er mir die Freundschaft kündigen.«
»Aber was ist denn geschehen?«
Großvater schenkte sich ein Glas Zuika ein und nahm einen Schluck, als müsse er die Zunge von ihren Fesseln befreien. »Verzeih, Pavel, wenn ich dein Herz mit Geschichten beschwere, für die du zu jung bist.«
»Ich bin alt genug.«
»Ja, mein Junge, das bist du. Pavel, so lange ich zurückdenken kann, hat in Baia Luna die Übereinkunft geherrscht, einander das Leben nicht zu vergraulen. Und ich darf sagen, dafür war ich selbst jederzeit ein verlässlicher Garant. Redlich zu sein, das entspricht dem Charakter der Botevs. Den Menschen nicht Feind, sondern Freund zu sein, diesen Wesenszug hatte man schon meinem Vater Borislav nachgesagt, und ich selbst habe mich bemüht, diese Eigenart deinem im Krieg gefallenen Vater Nicolai ebenso mit auf den Lebensweg zu geben wie dir. Doch nun ist etwas über das Dorf hereingebrochen, das nicht nur die Regeln der Ehrbarkeit außer Kraft setzt, sondern uns alle aus der Bahn schleudert. Obwohl ich mit Dimitru das Piepen des Sputnik nicht gehört habe, so scheint es mir im Nachhinein als Vorbote eines Unheils, das nun über uns hereinbricht. Zu viel ist geschehen, Pavel. Das Ewige Licht in der Kirche leuchtet nicht mehr. Johannes Baptiste ist ermordet, seine Fernanda zu Tode erschreckt worden. Der Leichnam unseres geliebten Priesters findet keine letzte Ruhe, sein Grabloch bleibt leer, und nun ist sogar die Madonna vom Ewigen Trost verschwunden, die Schutzpatronin unseres Dorfes. In schwersten Zeiten hat sie immer die letzte Hoffnung genährt, am Ende siege das Gute. In ihrem gequälten Antlitz habe ich immer Sanftmut und Gewogenheit erkannt. Hunderte, nein, Tausende Male habe ich vor der Madonna gekniet und sie betrachtet. Doch sie hat sich in nichts aufgelöst. Seit ich das arme Fräulein Barbulescu am Ast habe baumeln gesehen, ist die Madonna
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