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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Kommunistische Partei sich selbst für ihre Fortschrittsleistungen und verhieß dem Volk eine nationale Wiedergeburt und glorreiche sozialistische Zukunft auf Weltniveau. Während im ganzen Land die Menschen auf bessere Zeiten hoffend das neue Jahr begrüßten, vollzog sich der Jahreswechsel in Baia Luna, ohne dass jemand davon besondere Kenntnis genommen hätte.
    In früheren Silvesternächten hatten sich Kind und Kegel immer auf dem Dorfplatz versammelt, wo man gemeinsam dem zwölfmaligen Stundenschlag der Mitternacht entgegenfieberte. Als das Jahr 1958 anbrach, war der Platz menschenleer, die eingerostete Kirchturmuhr schlug nicht, und an statt die Gläser zu heben und einander die besten Wünsche auszusprechen, lagen die Bewohner in ihren Betten und schliefen. Nur in der Stube Vera Raducanus spendeten zwei flackernde Kerzen ein spärliches Licht. Mit einem langstieligen Glas Schaumwein prostete Vera sich selber zu und beteuerte trotzig, die Stunde ihres Triumphs werde noch kommen, werde ihr Sohn Lupu sie erst wieder zurückholen in die gehobenen Kreise der Stadt.
    Überdies begann das neue Jahr in Baia Luna, wie das alte geendet hatte. Die Menschen verließen selten ihre Häuser, und wenn, wechselten sie miteinander nur die allernötigsten Worte. Beleidigt bis aufs Blut, ließ sich Kora Konstantin nach dem deftigen Nasenstüber, den ich ihr am Mondberg verpasst hatte, nicht mehr im Dorf sehen. Auf Besorgungen in unserem Laden verzichtete sie, weil sie geschworen hatte, das Haus dieser Botev-Bande nie mehr in ihrem Leben zu betreten. Ihre sechs halbwüchsigen Blagen, mit denen sie der Trunkenbold Raswan nach seinem Ableben allein gelassen hatte, schickte sie mit ein paar Münzen durch die Nachbarschaft, um eine Tasse Zucker, Salz oder eine Tüte Haferflocken zu organisieren. Mit Sicherheit malte Kora ihren Kindern die grässlichsten Höllenqualen aus, sollten sie es wagen, von Großvater ein Lutschbonbon oder einen amerikanischen Kaugummi anzunehmen.
    Ilja und Mutter Kathalina hockten im Laden, ersehnten das baldige Ende des Winters und hofften, mit dem Frühling kehre nicht nur das Leben in der Natur zurück, sondern auch der Geist der Zuversicht. Dimitru war der Bibliothek ferngeblieben, nicht mangels Interesse an seinen marialogischen Studien, sondern weil seine Sippe drängende Familienangelegenheiten zu verhandeln hatte, bei denen sein Rat gefragt war. Ich selbst war vor Untätigkeit gelähmt und sehnte mich nach Buba. Von morgens bis nachts kreisten meine Gedanken um meine Freundin, seit ihre hysterische Mutter Susanna sie an den Haaren durchs Dorf ge schleift und ihr den Ausschluss aus dem Familienverband angedroht hatte.
    Am Samstag, dem 16 . Januar, schob Mutter einen Nusskuchen in die Backröhre. Doch ers t, als sie heimlich im Vorrats lager einen warmen Wollpullover und einen dunkelblauen Schal in Geschenkpapier einwickelte, verstand ich den Grund. Der Grund war ich. Kathalina war die Einzige, die daran gedacht hatte, dass ich am Sonntag sechzehn Jahre alt wurde. Sogar Großvater Ilja und Tante Antonia, die zum Tag meiner Geburt immer ein kleines Präsent parat hatten, war das Datum entgangen, was ich ihnen nicht übel nahm, weil ich meinen eigenen Geburtstag selber vergessen hatte. Ohne wirklich müde zu sein, kroch ich am Vorabend schon früh zu Bett, ersehnend, der Schlaf möge mich für eine Weile aus meinem Kummer erlösen.
    Es muss nach Mitternacht gewesen sein, als ich ein dumpfes Geräusch vernahm. Sofort saß ich kerzengerade und lauschte. Als erneut ein Schneeball gegen die Fensterscheibe flog, wusste ich, wer sich draußen in der kalten Nacht bemerkbar machte. Ich öffnete das Fenster und flüsterte in die Finsternis. »Komm zur Hintertür.«
    »Hast du Wachs in den Ohren? Ich stehe hier schon eine Ewigkeit.«
    Ich legte ihr die Finger auf die Lippen, nahm sie schweigend bei der Hand und zog Buba im Dunkeln hinter mir her in mein Zimmer. Im Haus blieb alles ruhig.
    »Ich musste dich doch an deinem Geburtstag sehen«, sagte sie leise und überfiel mein Gesicht mit ihren Küssen. Ich tastete nach Bubas Haar und bemerkte, dass sie ein Kopftuch trug. Die Furcht, entdeckt zu werden, stieg in mir auf, doch sie verlor jede Macht, als Buba ihre Arme um meinen Hals schlang und sich an mich drängte. Ich spürte ihren ausgekühlten Leib unter einem dünnen Hemdchen. Buba zitterte. Ich drückte sie fest an mich, meine Hände umfassten ihre Hüften, glitten hinab über die feste Rundung ihres Gesäßes

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