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Wie die Tiere

Wie die Tiere

Titel: Wie die Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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hat er seinen Termin beim Amtsarzt gehabt.
    Jetzt, warum Amtsarzt? An sich hat uns das nichts anzugehen, weil Privatsphäre gilt nach meiner Auffassung auch für einen Detektiv. Aber andererseits, es haben sich dann die Ereignisse sowieso derart überschlagen, dass es auf solche Kleinigkeiten nicht mehr ankommt.
    Und warum soll man auch so ein großes Geheimnis daraus machen. Natürlich, Krankheiten sind Privatsache, da führt kein Weg daran vorbei. Aber um eine Krankheit in dem Sinn hat es sich ja gar nicht gehandelt, ich möchte fast sagen: ganz im Gegenteil. Pass auf, das war so. Der Brenner hat jetzt seinen runden Geburtstag schon hinter sich gehabt. Und da haben sich eben diese Gedanken eingeschlichen, neunzehn Jahre Polizei gewesen, dann die Detektivjahre auch nicht so, dass man sagen muss, glanzvoller geht es nicht, und dann hat er zufällig einmal im Innsbrucker SoHo, Souvenir Hollinger, wo er einen guten Posten als Kaufhausdetektiv gehabt hat, einen Gesprächsfetzen aufgefangen. Frühpension. Sonst nichts. Nur: Frühpension.
    Das meiste, was man in einem Kaufhaus so hört, vergisst man natürlich, ich muss sagen, Gott sei Dank, weil sonst wären wir alle miteinander schon lange verrückt. Jetzt, warum vergisst der Kaufhausdetektiv, der mit den Wandernadel- und Muranoglas-Dieben an sich genug beschäftigt war, ausgerechnet diesen Gesprächsfetzen nicht Frühpension. Nicht nur das Wort, das kennt jeder Mensch, sondern die Stimme, den Tonfall, das hat ihm noch Tage und Wochen im Kopf geklungen, und obwohl er von der Kundin nur das eine Wort aufgeschnappt hat, ist ihm manchmal beim Einschlafen vorgekommen, er hört sie den ganzen Satz sagen: «Jetzt suche ich um Frühpension an.»
    Du ahnst es natürlich schon, aber bei den anderen Leuten hat man leicht ahnen. Bei sich selber ahnen, das wäre die Kunst. Da muss ich den Brenner in Schutz nehmen, weil das gilt weltweit, bei den anderen Leuten groß ahnen, aber bei sich selber, da ist der Mensch vernagelt. Jetzt hat der Brenner Wochen und Monate immer wieder einmal darüber nachgedacht, warum ihm das Wort Frühpension nicht aus dem Kopf geht, bis er dann sogar mit einer Kassierin aus dem SoHo darüber geredet hat.
    Den Fünfziger hab ich auch schon hinter mir, hat er ihr erzählt, neunzehn Jahre Polizei, dann in den letzten Jahren auch immer brav eingezahlt in die Detektivkassa. Polizeischule und Bundesheer zählen auch, Arbeitslose zählt auch, jetzt hab ich schon dreißig Jahre und eine Woche, und seit kurzem plagt mich dieser Ohrwurm, wo eine Stimme sagt: Frühpension.
    Die Kassierin hat nicht lange nachgedacht, sondern weibliche Intuition eins a, hat die natürlich mitten ins Schwarze getroffen: Vielleicht möchtest du in Frühpension gehen. Natürlich nicht, ist der Brenner regelrecht aufgebraust, weil jung und kerngesund, ja was glaubst du. Er ist dann sogar, obwohl er vorher nie die geringsten Absichten gehabt hat, mit ihr heimgegangen, weil er auf einmal geglaubt hat, er muss weiß Gott was beweisen, quasi jugendliche Umtriebe.
    Aber in den nächsten Tagen und Wochen hat es ihn dann doch immer wieder eingeholt: Vielleicht hat sie nicht vollkommen Unrecht gehabt. Und vor allem hat es ihm keine Ruhe gelassen, wie das Tiroler Mädchen seinen Einwand, dass er kerngesund ist, in den Wind geschlagen hat. Weil die hat ohne mit der Wimper zu zucken gesagt: «Dann musst du eben in Wien ansuchen.»
    Du musst wissen, in den Alpen schicken sie dich noch mit 40 Grad Fieber auf den Berg hinauf Und oben badest du ein bisschen im Gletscherwasser, das ist gesund. Ich muss ganz ehrlich sagen, das Herzlose hat auch seine Reize, aber es ist nicht günstig, wenn du auf die Frühpension schielst.
    Darum hat der Brenner den Auftrag vom Schmalzl ja so dringend gebraucht. Weil er eben dadurch seinen amtlichen Wohnsitz in Wien gehabt hat. Oberste Bedingung, die er dem Schmalzl gestellt hat: Du musst mich anstellen, als Hausdetektiv, sonst mache ich es nicht. Und nach der Probezeit kannst du mich wieder hinausschmeißen.
    Und darum ist er jetzt im Amtsarzt-Wartesaal gesessen. Seit zwei Stunden hat sich nichts gerührt Möchte man meinen, eine ideale Situation, um ein bisschen über den Fall nachzudenken. Aber nichts da.
    Vielleicht hat er es auch insgeheim geahnt, dass er sich bald selber ein bisschen an den Hundekeksen verschlucken wird. Weil alles in ihm hat sich dagegen gewehrt, dass er darüber nachdenkt. Jetzt, worüber hat er die ganze Zeit im Wartezimmer mit dem deprimierenden

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