Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Tiere

Wie die Tiere

Titel: Wie die Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
Vom Netzwerk:
Trumpf, die Migräne, überhaupt noch ausspielen soll. Womöglich wird sie aggressiv, wenn er ihr vom halbseitigen Kopfweh vorjammert und sie selber hält mit dem gleichen Problem bis ins hohe Alter als Amtsärztin durch. Weil siebzig muss die mindestens schon gewesen sein, eigentlich unglaublich, dass sie so jemanden nicht in Pension schicken. Er hat gehofft, dass es bei ihr vielleicht doch nur ein Pigmentfehler ist. Zumindest hat sie nicht nach Franzbranntwein gerochen, das war immerhin etwas.
    Du musst wissen, außer der Migräne hat er nicht viel in der Hand gehabt für die Frühpension. Dass du den Fünfer vorne hast, verbessert vielleicht die Optik, aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und ein Fünfer vorne macht noch keine Frühpension.
    Frühpension in dem Sinn geht natürlich nicht, weil Gesetzeslage keine Diskussion, aber Arbeitsunfähigkeit oft Interpretationssache. Besonders bei einem ehemaligen Kripobeamten, wo man sagen muss, Nervenkostüm sehr strapaziert.
    Jetzt hat der Brenner doch gesagt: «Kopfweh, Frau Amtsärztin.»
    Ihm ist vorgekommen, die Amtsärztin schaut ihn fuchsteufelswild an, aber dann hat sie nur gesagt: «Chefärztin. Wir sind hier nicht bei der Polizei.»
    Aber da dürfte sich das Unbewusste vom Brenner doch noch ein bisschen an das Berufsleben geklammert haben, weil er hat es sich einfach nicht merken können, dass eine Polizeiärztin etwas anderes ist als die Chefärztin von der Pensionsversicherung. Jetzt ist sie für ihn ewig die Amtsärztin geblieben, drei-, viermal hat sie ihn im Lauf der Untersuchungen noch korrigiert, dann hat sie es aufgegeben.
    «Seit wann haben Sie die Kopfschmerzen?»
    Das war eine Sachlichkeit, da wäre ihm fast ein Tiroler Alpenvereinsdoktor mit einem Gebiss wie dieser Fernsehansager noch lieber gewesen.
    Seine Kopfschmerzen hat der Brenner natürlich schon gehabt, bevor er damals bei der Polizei gelandet ist. Wie gesagt, erblich. Natürlich hat es immer wieder Leute gegeben, die ihm einreden wollten, psychisch. Du lernst eine frisch kennen und merkst schon, dass sie nur auf eine Gelegenheit wartet, wo sie es sagen kann. Psychisch. Dann die nächste, und wieder: psychisch. Aber so kann man sich täuschen, und da versuchen im Leben immer wieder Leute, einen auf die falsche Spur zu bringen wie beim reinsten Kriminalfall, aber beim Kopfweh vom Brenner natürlich aussichtslos, weil nicht psychisch. Erblich.
    Beim Pensionsansuchen ist die Wahrheit allerdings oft nicht die günstigste Antwort, jetzt hat er bei der Amtsärztin das Erbliche ausgelassen und dafür recht gejammert, dass er vor lauter Kopfweh bei der Polizei aufgehört hat. Weil die Kopfwehanfälle und der Stress, beides immer schlimmer geworden, was man eben so sagt.
    «Am Ende war ich gar nicht mehr recht arbeitsfähig.»
    «Ende hab ich Sie nicht gefragt, sondern Anfang», hat die Amtsärztin ein bisschen aggressiv gesagt.
    Das hat der Brenner nicht wissen können, weil er sich vorher zu wenig erkundigt hat, aber das mögen sie bei der Pensionsuntersuchung gar nicht, wenn man selber das Diagnosevokabular verwendet. Einfach nur jammern und die Schmerzen beschreiben, das kommt am besten an.
    Der Brenner hat sich jetzt wirklich ein bisschen selber Leid getan. Alles hat er berücksichtigt, dass man auf keinen Fall in den unmenschlichen Bundesländern ansuchen darf, weil Tirol, Salzburg, Vorarlberg aussichtslos, Kärnten sowieso hoffnungslos, dass man den Fünfer vorne haben muss, und instinktiv hat er «Kopfweh» gesagt, nicht «Migräne», das war genau richtig. Aber «arbeitsunfähig», das hätte er sich sparen sollen.
    «Anfang», hat er jetztversucht, die Scharte doch noch auszuwetzen, «das war so. In meiner ersten Zeit als Kriminalbeamter war ich in Vorarlberg stationiert. Da hat ein junger Familienvater seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern zwischen drei und sechs Jahren mit einem Schweizermesser die Köpfe abgeschnitten.»
    Das hat der Brenner im Grunde nicht vollkommen erfunden, der Fall ist wirklich in die Dienstzeit vom Brenner gefallen, nur das Schweizermesser war nicht echt, das muss sich in seiner Erinnerung vermischt haben, weil die Vorarlberger wie die Schweizer reden, dass man nach so vielen Jahren glaubt, ein Messer in Vorarlberg muss ein Schweizermesser gewesen sein, obwohl es natürlich ein gewöhnliches Brotmesser war.
    «Das war ein Apotheker. Möchte man meinen, er könnte mit Chemikalien töten, aber wahrscheinlich hat er die Chemikalien zu gern gehabt und hat

Weitere Kostenlose Bücher