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Wie du Ihr

Wie du Ihr

Titel: Wie du Ihr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Beckett
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keinem Regenguss standhalten würden.
    Bei den Rädern sah es nicht viel besser aus. Ich half beim Beladen des Anhängers, weil ich nervös war und so wenigstens etwas zu tun hatte. Es gab genügend Anzeichen bevorstehender Katastrophen: abgefahrene Reifen, rostige Ketten und Bremskabel, die jeden Moment reißen konnten. Für einen Außenstehenden sah es vielleicht so aus, als hätte man uns schlecht vorbereitet, aber das stimmte nicht. Und vielleicht sah es auch so aus, als wäre uns die bevorstehende Tour völlig egal, aber auch das stimmte nicht. Man musste nur den Gesprächen zuhören, um zu wissen, wie angespannt wir alle waren.
    »Trag du das, du Arsch.«
    »Ich hab schon das Zelt.«
    »Dann sag mir, wo ich das Ding noch hinpacken soll. Überzeug dich selbst, da geht nichts mehr rein! He, was machst du denn da?«
    »Das brauchst du nicht.«
    »Lass den Scheiß! Ich wühle doch auch nicht in deinen Sachen herum.«
    »Mach ruhig. Bei mir wirst du nicht so einen Mist finden.«
    »Aber das gehört mir.«
    »Und das ist unser Zelt. Oder willst du es etwa hierlassen?«
    »Na schön, aber wehe, wenn ich ... «
    Wir fühlten alle das Gleiche. Wir fragten uns, was sein würde, wenn wir es nicht schafften, und wem wir dann die Schuld dafür geben würden. Doch keiner von uns ahnte auch nur im Entferntesten, was uns da oben in den Bergen erwartete.
    Der Bus kam. Ich sah, wie Jeremy, der für die Buchung zuständig gewesen war, erleichtert aufatmete. Wir waren achtzehn Schüler, die in vier Gruppen unterteilt waren, und Mr Camden. Die anderen drei Erwachsenen fuhren mit dem Auto, er nicht. Er hielt es nicht aus, so weit ab vom Geschehen zu sein. Er sprang als Letzter die Stufen hoch und betrachtete uns strahlend. Er tat so, als zählte er uns, aber das war nicht seine Aufgabe. In Wirklichkeit nutzte er die Gelegenheit, um den Anblick in sich aufzusaugen: Hier saßen sie, seine jüngsten Rekruten. Er spielte gerade mit dem Gedanken, eine seiner kleinen Reden zu halten, und spitzte schon die Lippen, als der Motor mit einem tiefen Brummen ansprang. Wir fuhren ab. Es ging los.
    Die Fahrt dauerte gute drei Stunden. Zuerst taten wir so, als wäre es eine stinknormale Busfahrt. Wir hockten neben unseren Freunden, hingen über die Rückenlehnen und diskutierten über Musik. Etwa eine halbe Stunde nach der Abfahrt fanden wir uns instinktiv zu unseren Gruppen zusammen und plötzlich drehten sich die Gespräche um Entfernungen und Mahlzeiten. Angespannte Gespräche, bei denen die Leute vorsichtige Fährten der Schuld legten, falls alles schiefging.
    Meine Gruppe war mit Abstand die schlimmste. Theoretisch waren die Gruppen nach Leistungsvermögen eingeteilt worden. Aber seitdem war viel verschoben und getauscht worden. Ich bin eher jemand, der seine Meinung für sich behält. Und so kam es, dass ich von den sozialen Strömungen mitgeschwemmt wurde und schließlich bei der Gruppe der Übriggebliebenen landete.
    Offiziell waren wir die »mittelstarke Gruppe«. Wir dachten alle das Gleiche: dass die anderen drei Gruppenmitglieder nicht unbedingt zu den Leuten gehörten, mit denen wir freiwillig sechs Tage unseres Leben verbringen würden. Jonathan lässt sich von allen am einfachsten beschreiben, also fange ich mit ihm an. Er besaß eine spezielle Gabe, die wir alle nur zu gut kannten. Nämlich die Gabe, anderen Leuten auf den Geist zu gehen. Das hört sich noch nicht so schlimm an, aber Jonathan hatte das Nervtöten so perfektioniert, dass es schon beinahe eine Kunst war. Er war wie eines dieser sportlichen Naturtalente, die, ohne groß zu üben, einfach alles können. Jonathan konnte andere kränken, ohne dass er sich anstrengen musste. Als ich ihn zum ersten Mal in Aktion erlebte, war Mr Camden sein Opfer. Gleich zu Anfang des Schuljahrs, zwei Wochen nach Kursbeginn.
    Wir machten gerade unsere erste praktische Orientierungsprüfung. Wir sollten eine bestimmte Strecke durch das Kiefernwäldchen hinter der Schule zurücklegen. Ich hatte meinen Test schon einige Tage zuvor absolviert und half Mr Camden am Zielpunkt beim Aufschreiben der erreichten Zeiten. Jonathan tauchte als Erster zwischen den Bäumen auf. Er musste nur noch eine Station abhaken und hatte noch jede Menge Zeit. Er ist ziemlich fit und zu hinterhältig, um dumm zu sein. Sobald er uns entdeckte, hörte er auf zu laufen und schlenderte gemächlich auf uns zu. Als wären wir alte Freunde, die er zufällig bei einem Waldspaziergang getroffen hatte. Er wusste genau, dass die

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