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Wie du Ihr

Wie du Ihr

Titel: Wie du Ihr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Beckett
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Jedenfalls stelle ich es mir so vor. Ein einfacher Plan oder jedenfalls der erste Schritt, während er in Ruhe darüber nachdenken konnte, was er mit mir anstellt.
    Aber irgendetwas muss schiefgegangen sein. Etwas, was ich nicht verstehe. Irgendwie habe ich aufgehört, die Medikamente zu nehmen. Ich weiß nicht, wie. Ich wünschte, ich wüsste es. Die vielen Lücken in meinem Gedächtnis machen mir Angst. Vielleicht war es ein Versehen. Vielleicht sind die Pillen auf den Boden gefallen, als eine Schwester gerade nicht hingesehen hat. Wie auch immer es kam – ich wurde befreit. Es war, als würde ich nach langem, tiefem Schlaf langsam wieder erwachen. Wie wenn man noch halb benommen ist und einem die Umgebung gleichzeitig fremd und bekannt vorkommt. Als hätte ich die ganze Zeit mit offenen Augen geschlafen. Erinnerungsfetzen aus den Tagen in den Bergen kamen zurück und mit ihnen die schrecklichen Wachträume, immer mit dem Gesicht des Arztes darin. Der Albtraum ist immer noch gegenwärtig. Er lauert unter der Oberfläche meiner Gedanken. Und jedes Mal, wenn sich meine Gedanken bewegen, kommt ein Teil davon zum Vorschein.
    Ich weiß noch, wie ich die ganze Nacht wach lag und verzweifelt versuchte, Ordnung in das Wirrwarr meiner Gedanken zu bringen. Ich musste mich beherrschen, um nicht laut loszuschreien. Am Morgen kam die Schwester ins Zimmer und schob ihren Rollwagen mitten durch meine Panik.
    »Guten Morgen, stummer Chris«, sagte sie fröhlich, ohne mir in die Augen zu sehen. Als wüsste sie, dass es dort nichts zu sehen gab. »Gut geschlafen?« Sie plapperte munter weiter, während sie mir Puls und Temperatur maß, und währenddessen traf ich meine Entscheidung. Es schien mir einfacher und sicherer zu sein, stumm zu bleiben und nichts von mir preiszugeben. Aber das war gar nicht so leicht. Etwas in mir drin wollte schluchzend zusammenbrechen, sich an sie klammern und ihr alle Fragen stellen, die mich quälten. Sie bitten, mir unmögliche Dinge zu sagen. Dass alles gut werden würde. Doch mein Instinkt hinderte mich daran.
    An jenem Abend, nach zwei weiteren Rollwagenbesuchen und zweimaligem Vortäuschen von Schlucken, sah ich den Arzt und wusste schlagartig Bescheid. Mein Instinkt hatte mir das Leben gerettet.
    Jetzt spiele ich mein Spielchen weiter. Ich warte auf den richtigen Zeitpunkt und dann werde ich der Welt zeigen, dass Marko Turner nicht so ein Versager ist, wie alle immer gedacht haben. Ich werde es dem Arzt heimzahlen.

4
    Bei der Exkursion des Outdoorkurses sollten wir Neuseeland von Ost nach West in sechs Tagen durchqueren. Mr Camden erklärte uns, dass wir die komplette Tour eigenverantwortlich planen würden. Wir sollten die Route bestimmen, die Risiken abwägen und uns um die Organisation kümmern. Seine Aufgabe war es lediglich, uns zu begleiten und zu beobachten. Wie sich herausstellte, sah die Wirklichkeit dann doch etwas anders aus. Mr Camden ist alles andere als ein passiver Typ und konnte es einfach nicht lassen, unauffällige Hinweise zu geben, Diskussionen zu lenken und uns dezent in die richtige Richtung zu steuern. Wir wollten ihm den Spaß nicht verderben und so hatten wir am Schuljahresende auf wundersame Weise exakt jene Route ausgearbeitet, die sämtliche vorhergehenden Klassen in den vergangenen fünfzehn Jahren beschritten hatten. Wir würden mit dem Bus nach Riversdale und von dort mit dem Fahrrad zu den Ausläufern der Tararua-Berge fahren. Anschließend planten wir drei Tage ein, in denen wir über die Gebirgskette wandern würden. Und zuletzt würden wir noch mit dem Kanu den Otaki River hinunterfahren. Plus ein Tag Reserve. Kinderleicht. Wir trafen uns am frühen Freitagmorgen, um unsere Fahrräder auf das Begleitfahrzeug zu verladen und das Essen aufzuteilen, das die meisten Gruppen am Vorabend noch rasch zusammengekauft hatten. Wir waren so gut vorbereitet, wie man nur sein kann, wenn man sich auf den letzten Drücker um alles kümmert. Natürlich hatten wir im Unterricht alles genau besprochen. Aber das war eben nur Theorie. Man brauchte sich nur auf dem Platz vor der Turnhalle umzusehen, um zu erkennen, dass unsere praktischen Fähigkeiten eher bescheiden waren. Vollgestopfte Rucksäcke, die nicht mehr zugingen. Herumbaumelnde Ausrüstung, die sich beim ersten Windstoß verselbstständigen würde. Schüler, die zum dritten Mal ihre Sachen umpackten und bei jedem Mal vor noch unförmigeren Taschen kauerten. Schwere Kleidung, die sich mit Wasser vollsaugen, und Jacken, die

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