Wie du Ihr
wie er ans Bettende trat und die Einträge auf meiner Krankenkarte überprüfte. Und die ganze Zeit spürte ich, wie blinder Hass in meiner Brust aufstieg und sich mit meiner Angst vermengte. Dann hörte ich, wie er aus dem Zimmer ging. Ich ging das Risiko ein und machte die Augen auf. Er stand immer noch draußen im Flur und sprach mit einer Schwester. Bestimmt über mich. Über meine Medikamente.
Das Mittel, von dem er denkt, dass ich es bekomme, muss sehr stark sein. Nach vier Tagen ohne Pillen kann ich immer noch nicht richtig klar denken. Manchmal sehe ich alles nur verschwommen und ich kann nur ein paar Sätze schreiben, ehe die Wörter vor meinen Augen verschwimmen.
Bis jetzt haben mir drei verschiedene Schwestern meine Medikamente gebracht. Über zwei von ihnen mache ich mir überhaupt keine Gedanken. Sie haben es immer eilig und scheinen mich kaum zu beachten. Bei ihnen ist es leicht, die Pillen unter die Zunge zu schieben. Ich muss nicht einmal so tun, als würde ich sie hinunterschlucken. Die dritte heißt Margaret und bei Margaret muss ich aufpassen. Sie ist älter als die anderen, vielleicht so alt wie meine Mutter. Nachdem sie mir gestern Abend den kleinen Plastikbecher mit den drei klappernden Pillen in die Hand gedrückt hatte, ließ sie mich nicht aus den Augen. Ich sah weg und tat so, als hätte ich nichts bemerkt. Aber ich spürte noch immer ihren Blick auf mir. Sie wartete, bis ich ihr den leeren Becher zurückgegeben und das Glas Wasser komplett ausgetrunken hatte. Es ist, als wüsste sie Bescheid, sagte aber nichts, weil sie sich nicht verraten will. Genau wie ich.
Heute habe ich es wieder riskiert, hierherzukommen. Einen weiteren Tag, ohne zu schreiben, hätte ich nicht ausgehalten. Im Schwesternzimmer standen zwar zwei Pflegerinnen, aber sie waren in einen dicken Ordner vertieft. Ich schlich mit gesenktem Kopf vorüber und hoffte, dass sie mich nicht bemerkten. Sobald ich außer Sichtweite war, rannte ich los, damit ich sie, falls sie mir folgten, abhängen konnte. Ich beschloss, sicherheitshalber noch eine Weile zu warten, ehe ich das Notizbuch aus dem Versteck hervorholte. Vorsichtig zu sein ist mir in Fleisch und Blut übergegangen.
Als die Tür aufging, hatte ich schon halb damit gerechnet. Ich hatte versucht, die Tür abzuschließen, aber es gab keinen Schlüssel. Ich saß mit angezogenen Knien auf dem Klappstuhl und versuchte, harmlos und verrückt auszusehen. Zum Glück war es nur Andrew, einer der Krankenpfleger. Wahrscheinlich waren die Schwestern zu beschäftigt und haben ihn geschickt. Ich habe keine Ahnung, wie er mich hier gefunden hat. Er ist einer von den Netteren hier, soweit ich das beurteilen kann. Er lächelt immer – ganz egal, ob er mit einem arroganten Arzt oder einem durchgeknallten Patienten spricht. Aber ich vertraue ihm trotzdem nicht. Ich vertraue niemandem, ehe ich meine Aufgabe nicht erledigt habe.
Als er mich anlächelte, lächelte ich zurück. Ich rührte mich nicht.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er. Ich antwortete nicht. Ich versuchte, ihn mit schierer Willenskraft dazu zu bringen, mich in Ruhe zu lassen und wieder zu verschwinden. Aber er musste zuerst eine Weile darüber nachdenken und sah mich lange an.
»Na schön. Dann ist das unser kleines Geheimnis«, flüsterte er schließlich. Ich musste mir auf die Zunge beißen, damit er mir nicht ansah, wie erleichtert ich war. Er machte die Tür wieder zu und ich stellte den Klappstuhl mit dem Rücken vor die Tür. Das war vor einer Dreiviertelstunde und bis jetzt ist immer noch keiner aufgetaucht. Also gehe ich davon aus, dass ich unbesorgt weiterschreiben kann.
6
Riversdale ist keine Stadt. Es ist nur ein Punkt auf der Landkarte, an dem die zerklüftete Ostküste einem winzigen Strand Platz gemacht hat. Ein paar Ferienhäuser scharen sich um den einzigen kleinen Laden, einen Campingplatz und einen Golfplatz. Von dort schlängelt sich eine sechzig Kilometer lange Straße bis nach Masterton. Die Straße führt durch eine karge Gegend, in der windstille Tage im Kalender angekreuzt werden. Schafland, das langsam in Kiefernwälder übergeht und so hügelig ist, dass sich die Gespräche abrupt ums Radfahren drehten, als wir durch die Busfenster nach draußen sahen.
Unsere Unterkünfte lagen etwa einen Kilometer vom Strand entfernt und waren ursprünglich für Schafscherer gebaut worden. Die kleinen Holzhütten standen im Halbkreis auf einer Wiese. Auf einer Seite befanden sich die Küche und zwei
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