Wie ein einziger Tag
innerer Zwang hatte sie hierhergetrieben, und zum ersten Mal seit drei Wochen war das Gefühl fort. Irgendwie war es ihr ein Bedürfnis gewesen, daß Noah von ihrer Verlobung wußte, daß er es verstand, es akzeptierte - das war ihr jetzt klar -, und während sie an ihn dachte, fiel ihr etwas ein, etwas aus ihrem gemeinsamen Sommer. Mit gesenktem Kopf lief sie suchend den Steg auf und ab, bis sie es gefunden hatte - das eingeritzte Herz. Noah liebt Allie stand darin, nur wenige Tage vor ihrer Abreise in den Steg geschnitzt.
Der auffrischende Wind brach die Stille, ließ sie frösteln und die Arme vor der Brust verschränken. So stand sie eine Weile da, schaute mal auf den Fluß, mal auf das eingeritzte Herz, bis sie hinter sich seine Schritte vernahm. Sie spürte seine Nähe, seine Wärme. »Es ist so friedlich hier«, sagte sie mit verträumter Stimme.
»Ich weiß. Ich bin oft hier unten, nur um die Ruhe am Wasser zu genießen.«
»Das wäre ich auch, wenn ich hier lebte.«
»Aber jetzt laß uns gehen. Die Mücken werden aggressiv, und ich habe Hunger.«
Der Himmel hatte sich verfinstert, als sie sich auf den Weg zum Haus machten. Während sie schweigend nebeneinander hergingen, fragte sich Allie, wie er wohl darüber dachte, daß sie hier bei ihm war. War es leichtfertig von ihr? Als sie wenige Minuten später das Haus erreichten, wurden sie von Clems feuchter Schnauze begrüßt. Noah schickte sie fort, und sie zog sich mit eingezogenem Schwanz zurück.
Er deutete auf ihr Auto. »Ist etwas drinnen, das du herausnehmen willst?«
»Nein, ich habe bereits alles ausgepackt.«
»Na gut«, sagte er und stieg die Stufen zur hinteren Veranda hinauf. Er stellte den Eimer neben der Tür ab, trat ins Haus und ging in die Küche. Sie lag gleich rechts vom Eingang, war geräumig und roch nach neuem Holz. Schränke und Fußboden waren aus Eiche, die Fenster groß und nach Osten gerichtet, so daß die Morgensonne hereinscheinen konnte. Allie fand das Haus geschmackvoll restauriert, nicht übertrieben wie bei den meisten wiederaufgebauten alten Häusern.
»Darf ich mich etwas umschauen?«
»Ja, natürlich. Ich habe heute nachmittag eingekauft und muß die Lebensmittel noch einräumen.«
Ihre Blicke trafen sich eine Sekunde, und Allie merkte, daß er ihr nachschaute, als sie die Küche verließ. Und wieder verspürte sie tief in ihrem Innern dieses sonderbare Gefühl.
Sie ging von einem Zimmer zum anderen, stellte begeistert fest, wie wunderschön das ganze Haus geworden war. Als sie ihren Rundgang beendet hatte, konnte sie sich kaum mehr vorstellen, wie heruntergekommen es damals gewesen war. Sie ging langsam die Treppe hinab, wandte sich zur Küche und sah sein Profil. Einen Augenblick lang wirkte er wieder wie ein Junge von siebzehn Jahren, und sie zögerte eine Sekunde, bevor sie eintrat. Verdammt, dachte sie, reiß dich zusammen. Vergiß nicht, daß du verlobt bist.
Er stand vor der Anrichte und pfiff leise vor sich hin; mehrere Schranktüren waren geöffnet, leere Einkaufstaschen lagen am Boden. Er lächelte ihr zu, während er weitere Dosen in einem der Schränke verstaute. Kurz vor ihm blieb sie stehen, lehnte sich gegen die Anrichte und schlug ein Bein über das andere.
»Es ist unglaublich, Noah«, sagte sie bewundernd. »Gratuliere. Wie lange hast du für die Restaurierung gebraucht?«
Er schaute zu ihr auf.
»Fast ein Jahr.«
»Hast du alles allein gemacht?« Er lachte leise. »Nein.
Das hatte ich mir früher zwar immer so vorgestellt, und ich hab' es am Anfang auch versucht. Aber es wurde zuviel. Es hätte Jahre gedauert, und so habe ich ein paar Männer angeheuert - ziemlich viele sogar. Trotzdem war es noch viel Arbeit, und ich habe nie vor Mitternacht aufgehört.«
»Warum hast du so hart gearbeitet?« Gespenster, wollte er sagen, besann sich aber. »Ich weiß nicht. Ich wollte wohl einfach fertig werden. Möchtest du etwas zu trinken, bevor ich mit dem Kochen anlange?«
»Was gibt es denn?«
»Nicht viel. Bier, Tee, Kaffee.«
»Tee wäre nicht schlecht.«
Er hob die Einkaufslaschen vom Boden auf und verstaute sie in einem Fach, ging in die Speisekammer und kam mit einer Teedose zurück. Er öffnete sie und nahm zwei Teebeutel heraus. Dann füllte er den Wasserkessel, stellte ihn auf den Herd, zündete ein Streichholz an, und sie hörte, wie das Gas aufflammte.
»Es wird gleich kochen«, sagte er. »Der Herd heizt schnell.«
»Wunderbar.«
Als der Kessel pfiff, füllte er zwei Tassen und
Weitere Kostenlose Bücher