Wie ein Haus aus Karten
fügte hinzu: »Als Kinder war das nicht wichtig für uns, und später wollte ich das Thema nicht mehr berühren.« Die Reaktion ihres Gegenübers kam prompt: »So wie Sie heute die verwandtschaftliche Beziehung zu Neckermann möglichst nicht berühren wollen?« – »Das stimmt«, gab sie zu, während ihr plötzlich Zweifel kamen, ob es richtig gewesen war, sich auf das Interview einzulassen, und sie zum ersten Mal während des Gesprächs fühlte, wie eine Hitzewelle ihren Kopf erreichte. »Das stimmt«, wiederholte sie langsam. »Ich wollte mit alledem nichts mehr zu tun haben, dem ›Neckermann macht’s möglich‹-Motto, dem Nachkriegs-Wirtschaftswunderkönig, dem Olympiasieger, dem Sporthilfe-Gründer, so lobenswert das alles sein mag. Ich wollte es allein schaffen.«
Ihr Interviewpartner blieb hartnäckig. Ob der familiäre Hintergrund ihr geschadet oder genutzt habe, wollte er weiter wissen. Eine Pause entstand, in der die Kamera auf ihrem Gesicht ruhte. »Es hat mich beeinflusst«, sagte sie schließlich leise, »vor allem das Leistungsprinzip unserer Familie und der Druck, der damit verbunden war«, um dann mit fester Stimme fortzufahren: »Entscheidender war für mich aber dann die Erkenntnis: Das kann es doch nicht sein, dass das, was man tut, nur dem Zwang entspringt, Erfolg zu haben. Mir wurde für mein Leben klar, ich will Freude haben bei dem, was ich tue, und ich will diese Freude mit anderen teilen. Natürlich will auch ich Erfolg haben, aber für mich lässt sich der Weg nicht vom Ziel trennen.«
Am Ende des Interviews über Architektur, die Berliner Bausituation, das Stadtschloss, den Potsdamer Platz, die junge Architektengeneration kam der Journalist noch einmal auf die Herkunft seiner Interviewpartnerin zurück und hakte nach. »Sie sind eine erfolgreiche Frau, Sie haben viel Power im Leib. Sie sprühen vor Ideen und neuen Plänen, und man fragt sich, woher Ihre Energie kommen mag. Standen Sie nicht doch unter dem Druck, sich in Ihrem familiären Umfeld durchsetzen zu müssen?« Und er fügte, so als hätte er sich diese letzte Frage schon vor Beginn der Sendung zurechtgelegt, hinzu: »Ist Ihre bemerkenswerte berufliche Laufbahn auch eine Huldigung an die Leistungen Ihres Pflegevaters Josef Neckermann? Könnte das sein, könnte das nicht sein?«
Ihr Gesprächspartner, der sie bei diesen Worten mit einem herausfordernden Lächeln bedachte, hatte sich so in seine letzte, das Interview krönende Frage verliebt, dass er nicht merkte, dass die Sendezeit abgelaufen war. Als das rote Licht aufleuchtete, war es für eine Antwort bereits zu spät. Reglos blieb sie noch eine Weile in ihrem Sessel sitzen und dachte über seine Frage nach.
Achter Ort
Die Stadtvilla in der Kleebergstraße
Mit den Worten »halb Trutzburg, halb Hexenhäuschen« beschreibt Necko treffend unser neues Zuhause in der Kleebergstraße in Frankfurt, in das die Familie 1958 einzieht. Die Wohnung über der Firmenzentrale am Ostbahnhof haben meine Pflegeeltern im Gegensatz zu uns Kindern immer als Provisorium empfunden. Über den Umzug notiert mein Pflegevater in seinen Erinnerungen: »Die Familie war klein geworden, wie das so ist: Die Lang-Mädchen und Sigrid Apitz waren längst ausgeflogen, verheiratet, berufstätig, in der Ausbildung. Johannes ging aufs Wirtschaftsgymnasium und stand kurz vor dem Abitur, Peter studierte, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Evi das Haus verlassen würde.«
Necko hat sich verzählt, was bei der Neckermann’schen Großfamilie nicht verwunderlich ist. Meine Schwester Juli und ich sind noch längst nicht ausgeflogen, sondern ziehen wie Peter, Evi und Johannes mit in das neue Zuhause ein. Unterm Dach sind die Kinderzimmer untergebracht, nur Evi wohnt in der Nähe ihrer geliebten Mutter im ersten Stock. Großmutter Brückner hat eine kleine gemütliche Wohnung um die Ecke bezogen, wohin sie aber nur zum Schlafen geht.
Auch wenn es in meiner Erinnerung kein intensiveres Familienleben gegeben hat als am Ostbahnhof und ich mir manchmal wünsche, noch einmal in den schweren Brokatsesseln vor dem Kamin zu sitzen oder die geschwungene Steintreppe in die Kinderetage hinaufzugehen, so hat die Stadtvilla aus Klinkersteinen in ruhiger Lage am Parkrand, die von ähnlich dekorativen Villen mit spitzen Dächern und romantischen Türmchen eingerahmt wird, auch ihre Vorzüge. Die Familie rückt enger zusammen, was bei mir ein Gefühl von Nähe hervorruft. Sie wird sich als trügerisch
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