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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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Man könne mich, so argumentieren sie gegenüber Annemi und Necko, schlecht allein in Würzburg zurücklassen. Damit beginnt meine zweite Phase in der Kleebergstraße, und die steht unter keinem guten Stern. Meine Pflegeeltern haben sich entschlossen, wie sie meiner Schwester in diesem Gespräch mitteilen, mir im Gedenken an die Tote noch eine Chance zu geben. Unter der Auflage, in den kommenden Monaten zu den Mahlzeiten pünktlich und jeden Abend um acht Uhr zu Hause zu sein, darf ich wieder bei ihnen in meinem Zimmer unterm Dach wohnen. Das sind die Bedingungen meiner Kapitulation. Meine Zeit an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, an der ich Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie studiere und Vorlesungen bei Adorno und Habermas höre, deren Wirkung auf die Geistesgeschichte Europas sicher größer ist als damals auf mich, ist von diesen Koordinaten bestimmt.
    Wegen der bedrückenden Begleitumstände bei der Beerdigung und des mir zur Last gelegten Vergehens habe ich auch später nicht den Mut, mit meinen Pflegeeltern über den Tod meiner Großmutter zu sprechen. Ich hätte so gern mehr über die letzten Stunden ihres Lebens gewusst.
    Was meine Jahre in der Kleebergstraße kennzeichnet, ist eine zweifache und zwiespältige Abhängigkeit, emotional wie materiell. Die Drohung meiner Pflegeeltern, mich nicht länger in der Familie zu dulden, weil ich mich durch meine ungenehmigte Kurzreise in ihren Augen schuldig gemacht habe, führt mir endgültig vor Augen, was ich in meiner Kindheit und frühen Jugend nicht wahrhaben will: dass ich mir die Liebe meiner Pflegeeltern verdienen und mich ihr immer wieder aufs Neue würdig erweisen muss. Was man sich aber verdienen kann, das kann man auch wieder verlieren.
    Noch bedrückender ist die latente Forderung nach Dankbarkeit. Als ich mir zum Geburtstag von meinen Pflegeeltern ein Fahrrad wünsche und neben dem Gabentisch ein altes, gebrauchtes Modell steht, geht die Enttäuschung tief. Anmerken lasse ich sie mir nicht. Ich glaube, dankbar sein zu müssen. Als schließlich aus dem Nebenzimmer ein nagelneues Fahrrad hervorgeholt wird, kann ich mich über diese unerwartete Wendung zum Guten nicht mehr freuen. Ich kann mich nicht erinnern, das Fahrrad jemals benutzt zu haben.
    Steht die Wohnung über der Firma am Ostbahnhof für die dynamischen Aufbaujahre des Neckermann-Imperiums, so repräsentiert die Stadtvilla in der Kleebergstraße die Verfestigung der wirtschaftlichen Situation wie der gesellschaftlichen Stellung. Necko und Annemi halten sich an die neuen, dem veränderten Status angemessenen Spielregeln, auch wenn die nichts Spielerisches mehr an sich haben. Synchron zum steigenden Wohlstand überhäuft Necko seine Frau mit immer wertvolleren Geschenken. Zunächst sind es Pelze, darunter ein Leopardenmantel mit passendem Hut und eine Babyrobbenjacke, die eingemottet werden, als Annemi beginnt, sich aktiv für den Tierschutz zu engagieren.
    Die Autos, die in der Regel am Heiligen Abend, da sie nicht auf den Gabentisch passen, mit großer Schleife versehen vor der Tür auf die neue Besitzerin warten, sind weniger verfänglich. Nur mit einem Mercedes Coupé, weiß mit roten Sitzen, greift Necko daneben. In diesem Modell dreht auch die stadtbekannte, 1957 ermordete Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt auf der Suche nach Freiern ihre Runden durch Frankfurt. Zu allem Überfluss besucht sie auch noch denselben Modesalon wie Annemi.
    An den Automarken der Firma wie der Familie lässt sich der Traum vom American Way of Life ebenso ablesen wie die Konjunktur des Unternehmens. Auf den gebrauchten Opel Kadett folgen ein wie ein Schiff auf hoher See schaukelnder Buick und ein weißes Oldsmobil. Die Krönung dieser amerikanischen Phase bildet ein schwarzglänzender Cadillac, der, eine klappernde Schleppe aus Blechdosen hinter sich herziehend, bei meiner ersten Trauung als Hochzeitskutsche fungiert. Der Umstieg auf Mercedes-Modelle, deren Nummern kontinuierlich ansteigen, bis schließlich die magische 600 erreicht ist, erfolgt erst in den 70er Jahren.
    Vor allem aber überschüttet Necko seine Frau mit Schmuck, der bei dem stadtbekannten Juwelier Opitz angefertigt wird. Ich kann mich an einen Geburtstag erinnern, an dem Necko ihr einen Strauß roter Rosen mitbringt. Annemi schenkt den Blumen keine Beachtung, da sie davon ausgeht, dass sie wie immer von der Chefsekretärin ihres Mannes, Gerda Singer, in Auftrag gegeben worden sind. Bei solchen Gelegenheiten sagt Annemi dann oft,

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