Wie ein Stein im Geroell
Kostbares entdeckt, sie vor ihren Ängsten und der Unwirtlichkeit der Weltbeschützt, bis mit seinem Tod die schlimmste ihrer Ängste wahr wird, und sie selbst verloren geht. Die Erinnerung an das Glück aber, das ihr für einige Jahre mit Jaume vergönnt war, diese Erinnerung wird niemals verblassen und niemand wird sie ihr jemals nehmen können. Dieses Glück leuchtet in der Mitte dieser Geschichte «com un miracle», wie ein Wunder.
Mit Pedra de tartera hat Maria Barbal eine Hommage an die Generation ihrer Großmutter geschrieben, an diese Generation von schwarzgekleideten Frauen, die 1985, als der Roman zum ersten Mal erschien, etwa so alt wie das Jahrhundert waren, und die uns heute aus längst vergilbten Familienalben anzustarren scheinen, ernst und seltsam entrückt, so vertraut und doch so fremd. Nicht zuletzt hat Maria Barbal aber auch ein Zeugnis ablegen wollen, das stellvertretend für all die unzähligen spanischen und katalanischen Frauen stehen soll, denen es verwehrt wurde, ihre Toten zu begraben, und die deshalb in einer nie enden wollenden Trauer ohne Abschied und ohne Tränen erstarrt sind: ein Zeugnis über eine Zeit, die die übergroße Mehrheit der heutigen Leser nur aus Geschichtsbüchern kennt, und ein Zeugnis über ein Land, das mit der Wiedereinführung der Demokratie ein ganz anderes, ein besseres wurde, selbst wenn es nicht das Land geworden ist, von dem Jaume träumte und für das er sein Leben gab. Von Anfang an haben die katalanischen Leserinnen und Leser die Wahrhaftigkeit von Maria Barbals stellvertretendem Zeugnis erkannt. Mit mehr als fünfzig Auflagen gehört dieser Roman zu den meistverkauften Bestsellern der katalanischen Gegenwartsliteratur. Heute hat Pedra de tartera in den katalanischen Ländern längst den Status eines Klassikers erreicht – auch im etymologischen Sinne dessen, was man unter Klassiker versteht –, denn dieser Roman wird nicht nur immer wieder gern als Schullektüre herangezogen, es liegt auch eine Mappe mit ausführlichen didaktischen Materialien vor, die vom katalanischen Kultusministerium herausgegeben wurde.
Maria Barbals Werk umfaßt heute fünf weitere Romane, drei Erzählbände sowie mehrere Kinderbücher und einTheaterstück. Mit vollem Recht gilt sie als eine der wichtigsten Stimmen der katalanischen Gegenwartsliteratur. Dabei reicht ihre thematische Vielfalt von der südspanischen Migration nach Barcelona ( Carrer Bolivia , 1999), einem in der zeitgenössischen katalanischen Literatur bislang vernachlässigten, ja vermiedenen Thema, das die Autorin im Horizont ihrer eigenen, innerkatalanischen Migrationserfahrung mit großer Empathie zu verhandeln weiß, bis hin zu Bella edat (Schönes Alter, 2003), einem nachdenklichen Roman, in dem aus verschiedenen Perspektiven über den Verlust der Jugend und die Aporien der Schönheit reflektiert wird. Auch Maria Barbals bislang letztes Werk, das mit dem angesehenen Prudenci Bertrana-Preis ausgezeichnete País íntim (‹Inneres Land›, 2005), hat es vermocht, Kritik und Lesepublikum gleichermaßen zu überzeugen. Hier, in Form einer imaginierten Ansprache, versucht die Ich-Erzählerin in das «innere Land» ihrer Mutter vorzudringen, dem Eigensinn und der scheinbaren Härte dieser Mutter auf den Grund zu gehen, die zeitlebens unfähig war, sich der Tochter zu öffnen, ihr Zärtlichkeit und Nähe zu geben. Erst am Ende, nachdem Rita, so heißt die nunmehr etwa fünfzigjährige Tochter, sich selbst über das eigene Leben und somit auch über die verschiedenen Phasen des Mutter-Tochter-Verhältnisses eine Art Rechenschaftsbericht abgelegt hat, vermag sie zu erkennen, daß die vermeintliche Kälte und die angstbesetzten Obsessionen ihrer Mutter Ausdruck einer unaufhörlichen Trauer sind: Trauer um den Vater, um Ritas Großvater also, der – ebenso wie Jaume – kurz vor Kriegsende eines Morgens von faschistischen Soldaten abgeholt wurde und nie zurückkam. Auch er hat kein Grab hinterlassen können, nur dieses dumpfen Schmerz und diese bedrohliche Leere im Lebensgefühl seiner Frau und seiner Tochter. So hat Maria Barbal mit País intím zwanzig Jahre nach Pedra de tartera gleichsam dessen Fortsetzung aus der Sicht von Conxas Enkelin, von Elviras Tochter also, geschrieben und zugleich einen eindringlichen Roman über die Übertragung des Traumas des Bürgerkriegs von einer Generation zur nächsten, unaufhörlich und unaufhaltsam, solange bis diese Toten, die einst verscharrt wurden, ein – und sei es nur
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