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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
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hielt er es für das Beste, sich neutral und ungerührt zu geben. «Schwesterherz, noch einmal von vorne. Was will Ireland?»
    «Mr Ireland hat ein kurzes Shakespeare-Gedicht entdeckt. Es ist höchstens sechs oder sieben Zeilen lang. Und das hat er mir, wie gesagt, heute Abend vorgelesen. Seit zweihundert Jahren ist es das erste neue Gedicht, das entdeckt wurde. Es ist bemerkenswert. Einfach wunderschön.»
    «Ich habe den Essay seines Vaters im Gentleman’s Magazine gelesen. Er erwähnt lediglich einen unbekannten Wohltäter. Hat dir sein Sohn mehr erzählt?»
    «Keineswegs.» Das Lügen fiel ihr leicht.
    «Und an dieser Sache gibt es keinen Zweifel?»
    «Keinen.»
    Plötzlich klang sie zu seiner Überraschung ganz entschlossen und ruhig. Hoffentlich konnte er sie weiter darin bestärken.
    «Und was wünscht Mr Ireland nun von mir?»
    «Da es sich um eine große Entdeckung handelt, hegt er natürlicherweise den Wunsch, sie höchstpersönlich der Öffentlichkeit zu enthüllen. Wenn er einen Essay schreiben würde, würdest du ihn für ihn unterbringen?»
    In Wahrheit wollte Charles Lamb mit William Ireland nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Ireland war Händler, ein Ladengehilfe, dem das Glück eine Entdeckung zugespielt hatte. Doch deshalb besaß er noch lange nicht die Gabe, phantasievolle Aufsätze zu verfassen.
    «Bist du sicher, Schwesterherz, dass das der klügste Weg ist?»
    «Welche Alternative gibt es sonst? Es handelt sich um eine bemerkenswerte – um eine erstaunliche Entdeckung – »
    «Ganz genau. So etwas muss man ordentlich beschreiben und dokumentieren.»
    «Ich verstehe. Du glaubst nicht, dass Mr Ireland einen ordentlichen Schreibstil beherrscht.»
    «Das kann ich so nicht behaupten, aber kann man es voraussetzen? Schließlich hat er nach eigenen Aussagen keinerlei Bildung genossen. Sein Vater ist sein einziger Lehrer gewesen.»
    «Hatte Shakespeare eine ordentliche Erziehung genossen? Wirklich, Charles, du überraschst mich.»
    «Er ist kein Shakespeare.»
    «Vermutlich besitzt nur du die Begabung, literarische Notizen zu verfassen. Charles, du bist ganz schön eingebildet.»
    Jetzt war Mary offensichtlich wieder wütend. Sie biss sich auf die Unterlippe und drehte ihm den Rücken zu. Inzwischen nahm er sich vor ihr in Acht. Diese plötzlichen Stimmungswechsel hatte er noch nie zuvor erlebt. Man musste sie beschwichtigen, das wäre am besten.
    «Vergib mir, Schwesterherz, es ist schon spät. Er ist zwar kein Shakespeare, aber vielleicht entpuppt er sich als zweiter Lamb. Ich werde ihn jedenfalls tatkräftig unterstützen, so weit es in meiner Macht steht.»
    «Charles, kann er uns besuchen und den Inhalt seines Essays erklären? Ich würde mich so freuen.»
    «Natürlich. Er soll kommen, wann es ihm passt.»
     
     
    Auf eine kurze Nachricht von Mary hin fand sich William am nächsten Sonntagvormittag in der Laystall Street ein. Offensichtlich machte ihn Charles’ Anwesenheit nervös. Immer wieder suchten seine Blicke bei Mary Unterstützung, während er die Shakespeare’schen Verse vorlas.
    «Sie sind sehr elegant», meinte Charles.
    «Ganz genau. Elegant.» Er griff das Wort auf. «Mr Lamb, darf ich Ihnen den ersten Entwurf meines Aufsatzes vorlesen?»
    Sie saßen im Salon. Mary beobachtete den Schwebetanz der unzähligen Staubkörnchen in den Strahlen der Frühlingssonne. William zog ein Bündel Blätter aus seiner Rocktasche.
    «Die Einleitung habe ich noch hintangestellt. Darf ich mich ‹in medias res› wagen?»
    «Unbedingt.»
    William Ireland begann: «Und noch eine Begabung zeichnete Shakespeare aus, in der es ihm kein anderer Dichter gleichtat: das Wesen seiner Sprache. Sie war so genau, dass wir uns in jedem seiner Worte wiederzuerkennen meinen. Außerdem verfügte er über einen derart typischen Sprachstil, dass man bei jedem Satz sofort merkt: Das hat Shakespeare geschrieben.»
    Charles Lamb hörte aufmerksam zu. Irelands Ausdruckskraft überraschte ihn wirklich. Der junge Mann beschrieb das Wesen des von ihm entdeckten Gedichts, ordnete es in einen Zusammenhang mit bereits bekannten und anerkannten Stellen aus Shakespeares poetischem Gesamtwerk ein und schloss dann mit dem schwungvollen Satz: «Da wir Shakespeare sämtliche genialen Eigenschaften zugestehen, die uns Bewunderung abnötigen, sehen wir uns durch dieses Gedicht veranlasst, ihm den bereits von Milton verliehenen Titel zuzuerkennen: ‹unser holdester Barde›.»
    Mary klatschte Beifall.
    Charles hatte die

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