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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
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wie Mr Lamb einen kräftigen Schluck aus der Pfefferminzflasche nahm.
    «Heiß», sagte er, «heiß wie Eis.»

9
     
     
     
    Mary hatte sich von ihrem Fieber erholt. Nach ihrem unfreiwilligen Bad in der Themse war sie zwei Wochen lang ans Bett gefesselt gewesen. Während dieser Zeit hatte sie abwechselnd geglüht und vor Kälte gezittert, hatte nach heißen Getränken und Kühlung gerufen und im Schlaf merkwürdige Wörter und Sätze gemurmelt. Durch Marys heftige Schweißausbrüche hatte sich Tizzy – sehr zum Missfallen von Mrs Lamb – zu der Bemerkung hinreißen lassen, sie habe gar nicht gewusst, dass ein Mensch so viel Fett auslassen könne.
    William Ireland hatte dem Haus während ihrer Krankheit einen Besuch abgestattet. Leider hatte man ihm erklärt, Mary müsse jede Aufregung vermeiden und dürfe nicht gestört werden. Der Arzt habe Erholung und Schlaf verordnet. Trotzdem durfte sich William am Ende der zweiten Woche mit ihr unterhalten, während sie, in ein Schultertuch gewickelt, am Salonfenster saß.
    Seine erste Frage lautete: «Geht es Ihnen jetzt wieder besser? Hoffentlich.»
    «Es war nichts. Eine Erkältung. Wie erwartet.»
    «Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.»
    «Etwa das Stück?» Er nickte. «Beinahe hätte ich schon alles für einen Traum gehalten. Dieser Tag damals war mir so fremd, William. Mittlerweile habe ich das Gefühl, als läge er weit, weit zurück, und alles erscheint mir – »
    «Und doch – hier ist es.» Er überreichte ihr eine gebundene braune Mappe. «Das ist doch Wirklichkeit genug.»
    Sie legte die Mappe in ihren Schoß und starrte zum Fenster hinaus. «Ich habe beinahe Angst, sie zu berühren. Es ist etwas Heiliges, nicht wahr?» Er lächelte stumm. «Es wird mir helfen, am Leben zu bleiben.»
    «Mr Malone hat seine Echtheit anerkannt. Und mein Vater hat beim Drury Lane vorgesprochen.»
    «Wird man es aufführen?»
    «Ich hoffe sehr.»
    «Wissen Sie was, William? Eigentlich wäre es mir lieber gewesen, wenn dieses Stück ein Geheimnis geblieben wäre.»
    «Unser Geheimnis? O nein, das ist nicht – »
    Mrs Lamb betrat den Raum. «Mary, du musst dich ausruhen. Du darfst dich keinesfalls aufregen.»
    «Ich rege mich nicht auf, Mama.» Sie sah William an. «Ich bin begeistert.»
    «Egal, was, jedenfalls reicht es jetzt. Mr Ireland, wir wünschen Ihnen einen schönen Tag.»
     
     
    Noch am selben Nachmittag las Mary das ganze Stück. Es strotzte nur so von hochfliegenden Ausdrücken und kühnen Vergleichen und verknüpfte Klang und Sinn auf seltsam magische Weise. Es handelte von Eifersucht, Wahnsinn und Gewalt und beschwor den britischen Rachegott aus grauer Vorzeit herauf, «dessen Gewalt den grünen Neptun erbleichen lässt» und dessen «schneller Lauf den Wind besiegt, der übers Kornfeld fegt». Sie hielt es für eines der ganz frühen Shakespeare-Stücke, vergleichbar mit Titus Andronicus oder dem ersten Teil von Heinrich VI. Anschließend las sie es gleich noch einmal und staunte über das Genie des jungen Shakespeare. Wer sonst käme auf die Metapher einer Schwalbe, die über einem Schlachtfeld aufsteigt, um «dem Chaos unten auf weiter Flur» zu entfliehen? Sie empfand tiefste Dankbarkeit, weil sie dieses Theaterstück lesen durfte. Kleine Schönheitsfehler und Ungenauigkeiten ignorierte sie bereitwillig. Sie gehörte zu den wenigen Auserwählten, die dieses Drama in den letzten zwei Jahrhunderten gesehen hatten.
    Am selben Abend gab sie Charles kommentarlos das Manuskript. Da sie sich von ihm ein eigenständiges Urteil über Herkunft und Autor erwartete, verriet sie ihm nicht die Geschichte seiner Entdeckung. Charles nahm es nach dem Abendessen mit auf sein Zimmer und tauchte nicht wieder auf. Kurz vor dem Schlafengehen klopfte Mary leise an seine Tür.
    «Komm herein, Schwesterherz.» Charles saß an seinem Pult und schrieb eifrig einen Brief. «Suchst du das da?» Er deutete auf die Mappe auf seinem Bett.
    «Hast du es ausgelesen?»
    «Natürlich. Es ist nicht übermäßig lang.»
    «Und welchen Eindruck hast du?»
    «Wer der Verfasser ist? Es steht nur ein Titel darauf.»
    «Könntest du ihn erraten?»
    «Bei solchen Sachen rate ich lieber nicht. Es klingt sehr nach Kyd, könnte aber auch von einem der akademischen Dichter stammen. Allerdings ist es nicht auf Latein geschrieben.»
    «Sonst kommt niemand in Frage?»
    «Schwesterherz, das ist eine sehr allgemeine Frage.»
    «Es stammt von Shakespeare.»
    «Nein.»
    «Charles, ich versichere es dir.»
    «Noch

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