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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
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einschätzen. Verzeihung.»
    «Es steht in nichts hinter dem Lear oder hinter Macbeth zurück.» Er war neben ihr stehen geblieben. «Wenigstens glaube ich das. Kommen Sie, wir fallen auf.» Ein paar zerlumpte barfüßige Kinder kamen mit ausgestreckten Händen über das Pflaster auf sie zu.
    Mary und William spazierten Richtung George Terrace, eine Reihe kleiner Hütten, deren Verfall bereits weit fortgeschritten war. Fehlende Fensterscheiben hatte man durch quer angenagelte Bretter ersetzt, und über allem lag ein durchdringender Kloakengestank.
    «Mary, ich möchte, dass Sie es als Erste sehen. Vor allen anderen. Nicht einmal Vater weiß davon.»
    «Ich hätte schreckliche Angst, es zu berühren, William. Wenn es mir nun – »
    «Wenn es Ihnen unter den Händen zerfiele? Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen, ich habe es abgeschrieben.»
    «Selbstverständlich möchte ich es lesen. Aber Sie werden es doch nicht sehr lange geheim halten?»
    «O nein, man muss es der ganzen Welt bekannt machen. Und – man muss es aufführen.» William blickte zum Fluss hinunter. «Da Mr Sheridan ein Bekannter meines Vaters ist, hoffe ich sehr auf das Drury Lane.»
    «Bisher haben Sie Sheridan noch nie erwähnt.»
    «Nein?» Er lachte. «Ich nahm an, mein Vater hätte sich ausführlich mit Ihnen darüber unterhalten. Es ist sein Lieblingsthema. Hier wären wir also.» Direkt hinter den Hütten blieben sie stehen. «Wenn Mr Malone richtig gerechnet hat, dann stand das Globe ursprünglich genau an dieser Stelle. Es war ein polygonaler Rundbau. Hier befand sich die Bühne.»
    Er ging zu einem Holzschuppen, in dem sich weiße Säcke mit Mehl oder Zucker stapelten. Davor lungerte ein Junge mit einer Tonpfeife im Mund herum.
    «Is’ was?», fragte er, als William näher kam.
    «Nichts. Ich bewundere nur die Gegend.»
    Der Junge nahm die Pfeife aus dem Mund und musterte ihn misstrauisch. «Beim ersten Pfiff kommt mein Pa angerannt.»
    «Nicht nötig. Nicht nötig.» Er ging wieder zu Mary. «Hier war der offene Platz, wo die Leute standen, direkt unterhalb der Bühne.»
    «Und rings um uns stiegen die Ränge an. Es gab Nüsse und gegrillte Drosseln am Spieß und Flaschenbier. Dreifache Trompetenfanfaren kündigten den Beginn der ersten Szene an, und dann trat der ganz in Schwarz gekleidete Prolog auf.» Er deutete auf den Jungen mit der Pfeife. «Dort hätte er gestanden. Und ich wohl auch. Vielleicht hätten wir gemeinsam Vortigern gesehen.» Seine Augen strahlten. «Dieses ganze Viertel ist unglaublich bezaubernd. Mit vernünftigen Gründen lässt sich das nicht erklären, Mary. Sehen Sie denn nicht? Das Globe steht immer noch hier. Es füllt noch immer diesen Platz aus.»
    Marys Blick schweifte über den breiten Streifen Ödland, auf dem nur zwei oder drei Hütten zum Räuchern der Fische und die Überreste eines Müllhaufens standen, den Lumpensammler und Kupferdiebe übrig gelassen hatten. «Ich befürchte», sagte sie, «das Südufer ist nicht mehr sehr prächtig. Ich verfüge nicht über ihre Phantasie, William.»
    «Vielleicht ist es nicht prächtig, aber – »
    «Aber hochinteressant», fügte sie rasch hinzu.
    «So interessant wie das Leben, Mary. Meinten Sie das?»
    «Leider nicht ganz so grandios. Trotzdem rieche und schmecke ich gerne den Staub dieses Viertels. Hier ist alles echt und nicht nur Schein.»
    Rasch warf er ihr einen Blick zu. «Sollen wir wieder zum Fluss hinuntergehen? Sie wirken müde.»
    «Gibt es sonst nichts mehr zu entdecken?»
    «Es gibt immer noch etwas zu entdecken. Schließlich sind wir in London.»
    Und so spazierten sie nach Osten, Richtung Bermondsey. Ihr gemütlicher Bummel durch die Straßen am Fluss führte sie an den Essigfabriken und am Wöchnerinnenspital vorbei. An der Brücke drehten sie um. William meinte, sie sollten sich besser nicht weiter vorwagen. Auf dem Rückweg schlugen sie einen anderen Weg durch das Gässchengewirr ein, mit dem man die Sümpfe von Southwark überbaut hatte.
    Plötzlich blieb William stehen. «Denken Sie nur, Mary, ein neues Shakespeare-Stück! Damit wird sich alles ändern.»
    «Auch Sie?»
    «O nein, ich bin nicht mehr zu retten.»
    Hinter den Gassen lag offenes, von Senken und Gräben durchzogenes Land. Sie blieben stehen und betrachteten es näher.
    Mary drehte sich um und blickte zum Fluss zurück. «Was sieht man dort in der Ferne?»
    «Ein Wasserrad. Es pumpt das Themsewasser durch schmale Holzspulen. Mary, Vortigern ist unglaublich, er kommt durch

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