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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
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Mord und Verrat auf den Thron. Er ermordet seine Mutter.»
    «Er war bestimmt ein sehr böser Mensch.»
    «Und danach ermordet er seinen Bruder.»
    «Ähnlich wie Macbeth?»
    «Im Wesentlichen. Allerdings hat Macbeth nie seine eigene Familie ermordet. Darf ich ein kleines Stück daraus zitieren?»
    «Darf ich mich einen Augenblick bei Ihnen einhaken?»
    «Selbstverständlich. Ist Ihnen schwindlig?»
    «Ich bin nur ein wenig erschöpft. Kennen Sie ein paar Zeilen auswendig?»
    Im Weitergehen stützte er sie und gestikulierte mit der freien Hand in der Luft herum.
     
    «Könnt ich erweichen, Eisenzunge, dich,
    Und biegen sanft zu süßem Liebes ton!
    Doch nie ward mir ein ander Lied gelehrt
    Wenn dennoch solche Mär dein zartes Ohr erfreut,
    Wenn rauher Töne Wahrheit zu dir dringt,
    Dann horch. Von Schlachten, lang und kalt,
    Will dieser Mann erzählen dir den lieben langen Tag,
    Und künden von der Stund’, wo selbst der blutge Mars
    Gestillt den Durst und gellend schrie: ‹Halt ein!›»
     
    «Das klingt sehr bemerkenswert», sagte sie. Sie wirkte merkwürdig zurückhaltend.
    «Es trifft den richtigen Shakespeare-Ton.»
    Sie näherten sich einer Häusergruppe direkt an den Paris Stairs. Man konnte einen heftigen Wortwechsel hören. Es klang nach einem Streit zwischen Mutter und Tochter. Dann ertönten schrille Schreie und mehrere heftige Schläge. Mary floh zum Fluss hinab, direkt an die Uferkante. William stürzte hinterdrein.
    «Tut mir leid, dass Sie das anhören mussten. So etwas kommt hier häufig vor.»
    Er merkte, dass sie heftig zitterte. Dann machte sie eine Bewegung. Es sah aus, als würde sie zur Seite kippen. Und dann rutschte oder, besser gesagt, stürzte sie kopfüber vom Ufer in den Fluss. Als sie unter der Wasseroberfläche verschwand, blähte sich ihr rotes Kleid wie eine plötzlich voll erblühte Blume auf.
    William sprang hinterher. Es herrschte gerade Ebbe, und das Wasser war weder tief noch tückisch. Schon nach anderthalb Metern Tiefe kämpfte sich Mary wieder an die Oberfläche. William konnte sie in die Arme nehmen und zur hölzernen Anlegestelle dirigieren. Da er festen Boden unter die Füße bekommen hatte, schob er sie mit dem Kopf über Wasser vorwärts.
    Als sie das Ufer erreichten, streckten ihnen zwei Fährmänner und ein Fischweib die Arme entgegen und hievten sie aufs trockene Land. Beide schnappten nach Luft. Mary erbrach Wasser auf den verschlammten Kies neben den Booten. Hinter ihr stand das Fischweib und klopfte ihr auf den Rücken.
    «Spucken Sie’s aus, junge Frau. So ist’s gut. Der Fluss ist noch keinem bekommen, der ihn geschluckt hat.»
    Obwohl William aufrecht stand, war er überrascht, wie schwach er sich fühlte. Er hielt sich an einem Anlegepfosten fest und starrte die Fährmänner an, konnte sie aber nur undeutlich erkennen. Mehr als alles andere sah er immer noch das rote Kleid vor sich, das sich wie eine Knospe öffnete. Es wirkte auf ihn wie die Blume des Todes.
    Das Fischweib verfrachtete Mary in eine Hütte, die den Fischern als Lagerplatz für ihr Tauwerk diente. William folgte hinterdrein. Die Alte zündete eine Kohlepfanne an. Bald füllte dichter Rauch die ganze Hütte, aber Mary hustete nicht und rang auch nicht nach Luft. Sie saß nur mit gesenktem Kopf da und starrte unverwandt auf den Boden.
    «Sie sind sicher auf dem Holz ausgerutscht», erklärte ihr William behutsam. «Es war sehr tückisch.»
    «Tut mir leid.»
    «Dafür müssen Sie sich doch nicht entschuldigen, so etwas hätte jedem passieren können. Auch mir.»
    «Nein, es war meine Schuld. Ich hätte aufhören sollen.»
    William hatte keine Ahnung, was sie damit meinte.
    «Feines Leinen trocknet schnell», sagte das Fischweib und versuchte, sie zu trösten. «Baumwolle geht lang.»
    Mary zitterte. Die Frau zog ihr Schultertuch herunter und legte es Mary um.
    «Sie sind nicht durchweicht, dazu waren Sie nicht lange genug im Fluss. Nicht so wie die Wasserleichen.»
    Sie hockte sich gegenüber von William auf eine Holzkiste und fing an, ihm Geschichten über die Selbstmörder zu erzählen, die bei Blackfriars von der Brücke sprangen. Bei stürmischem Wetter trieb eine Unterströmung des Fleet, der am anderen Ufer mündete, die Leichen bei Paris Stairs gegen die Kais.
    «Das Schlimmste, Sir, sind die Augen.»
    «Der Wasserdruck reißt sie auf», sagte Mary, «und das Fleisch reagiert wie ein Schwamm.»
    «Ich weiß, Miss.»
    William hatte seinen Rock am Kohlefeuer getrocknet. Trotzdem zitterte

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