Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
Vom Netzwerk:
nie habe ich etwas gelesen, das so wenig nach Shakespeare klingt.»
    «Wie kannst du so etwas sagen? Für mich ist das ganz klar.»
    «Und weshalb?»
    «Der erhabene Stil.»
    «Den kann man kopieren.»
    «Der Satzbau. Der Rhythmus. Der Ausdruck. Einfach alles.»
    Sie wirkte immer ängstlicher.
    Er versuchte sie zu beruhigen: «Mary, es ist doch nur ein Theaterstück.»
    «Nur? Das ist lebendiger Geist!» Sie hielt einen Augenblick inne und fasste sich wieder. «Erinnerst du dich an Voltigerns Worte an seine Frau? ‹Das Glas verrinnt und kann nicht enden, bis einer nicht mehr ist von uns.› Klingt das nicht schön?»
    «Durchaus, sei versichert.» Er erhob sich von seinem Pult und umarmte sie. «Liebe Mary, es handelt sich um eine von Mr Irelands Entdeckungen. Das habe ich sofort gewusst. Aber denk mal einen Moment nach. Auch er kann sich irren, oder?»
    «Nicht bei einem so wichtigen Thema.»
    «Woher nimmst du deine Sicherheit? Woher nimmt er sie?»
    «Charles, du stellst dich absichtlich blind. Aus jeder Zeile spricht Shakespeare. Ich konnte ihn beim Lesen ganz nahe bei mir spüren.»
    «War das nicht ein anderer?»
    «Du meinst William.»
    «Schließlich möchtest du doch auch ihm nahe sein.»
    Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, bedauerte er ihn schon. Sie wurde kreidebleich.
    «Das ist unerhört!» Sie wich vor ihm zurück. «Wie kannst du es wagen!» Dann verließ sie das Zimmer.
     
     
    Einige Tage nach diesem Gespräch der Geschwister stand William Ireland vor Publikum im Zunftsaal der Seidenhändler in der Milk Street. Die Londoner Shakespeare Gesellschaft hatte ihn zu einem Vortrag über «Die Quellen von Shakespeares Tragödien» eingeladen. Matthew Touchstone, der Präsident und Gründer der Gesellschaft, hatte zwei von Irelands Essays in den Westminster Words gelesen. Irelands Einsichten in die Sprache der elisabethanischen Zeit hatten ihn beeindruckt. Erst durch Ireland hatte er erfahren, dass der Ausdruck «Schatten» beispielsweise eine Metapher für «Schauspieler» war.
    Anfänglich hatte William Ireland nervös gewirkt. Er hatte Mühe, deutlich zu sprechen, und zog ein Taschentuch hervor, um sich die Stirn abzuwischen. Bei einem Blick auf Mary Lamb, die neben ihrem Vater saß, lächelte er. Mr Lamb nickte heftig zu ihm herauf und reckte sehr zufrieden beide Hände in die Höhe.
    «Es gibt noch mehr höchst aufschlussreiche Quellen», verkündete William gerade. «Der berühmte Herausgeber und Gelehrte, Mr Malone» – Edmond Malone saß ebenfalls unter den Zuhörern; er war im Schlepptau von Samuel Ireland gekommen – «hat im Archiv alter Anklageschriften der Stadtverwaltung von Stratford ein sehr wichtiges Dokument entdeckt. Es handelt sich um das Protokoll einer gerichtlichen Untersuchung, die am 11. Februar 1580 in Stratford-upon-Avon stattfand. Zu dieser Zeit soll der Barde in einer Stratforder Anwaltskanzlei gearbeitet haben. Jawohl, als junger Mann musste auch er sich wie die meisten Menschen seinen Lebensunterhalt verdienen.» Eigentlich hatte er an dieser Stelle mit leisem Gelächter gerechnet, aber die Zuhörer blieben still. Nur ab und zu hustete jemand, oder man hörte Stiefel knarzen. «Dieses Dokument betrifft den Tod einer jungen Frau namens Katherine Hamnet oder Hamlet.» Jetzt hingen sie gebannt an seinen Lippen, aber das hatte er schon vorher gewusst. «Ein Tod durch Ertrinken.» Er hielt inne. «Katherine war noch ledig gewesen. Sie war zum Avon hinuntergegangen, wo man sie später auch gefunden hat. Laut Aussagen ihrer Familie hatte sie einen Eimer Wasser holen wollen. Die Untersuchung kam zu folgendem Ergebnis.» Rasch warf er einen Blick zu Mary hinüber, aber sie hatte den Kopf gesenkt. In der Reihe dahinter saß Edmond Malone und strahlte übers ganze Gesicht. «So hat es der Untersuchungsbeamte damals formuliert: ‹Besagte Katherine, die am Ufer des besagten Flusses stand, glitt plötzlich rein zufällig aus und fiel in den erwähnten Fluss, wo sie im Wasser desselbigen ertrank. So ist es gewesen, eine andere Todesursache ist auszuschließen.›» William legte das Blatt weg, von dem er vorgelesen hatte. «Man wählte sehr eindeutige Worte. Offensichtlich wollte man bewusst von vornherein den Vorwurf des Selbstmordes entkräften. Wenn Katherine Selbstmord begangen hätte, hätte man ihr ein christliches Begräbnis auf dem Friedhof verweigert und ihre Leiche stattdessen in ungeweihter Erde verscharrt.» Samuel Ireland flüsterte Edmond Malone etwas zu.

Weitere Kostenlose Bücher